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Die versteckten Arbeiter

Von Clemens Neuhold

Politik
Die unsichtbaren Wähler: Generation Praktikum spielt für Wahl marginale Rolle - im Unterschied zur "Generation Pension".
© V. Kronberger

90 Prozent der Praktika sind reine Arbeitsverhältnisse, kritisiert die Plattform Generation Praktikum.


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Wien. Ein Architekturstudent, der für sein Pflichtpraktikum kein Geld bekommt, sondern dafür bezahlen muss - für Veronika Kronberger von der Plattform Generation Praktikum das bisher krasseste Beispiel von Missbrauch studentischer Arbeitskraft. In England seien solche Praktiken üblich, in Österreich noch auf einzelne schwarze Schafe beschränkt. Doch wenn es um einen fairen Lohn für das Praktikum geht, sieht sich Kronberger von schwarzen Schafen geradezu umringt. "60 Prozent der Pflichtpraktika sind unbezahlt", schätzt Kronberger. "Gleichzeitig haben nur die wenigsten einen klassischen Ausbildungscharakter. Meistens handelt es sich um reine Arbeitsverhältnisse." Deswegen fordert die ehrenamtliche Plattform, die mit der Gewerkschaft und der Arbeiterkammer kooperiert, einen radikalen Schritt: Pflichtpraktika sollten dem Arbeitsrecht unterworfen werden. Vorbild ist Frankreich. Dort müssen alle Praktikanten angemeldet und adäquat entlohnt werden.

Schritt in die Wirtschaft

Mit der europäischen Hochschulreform (Bologna-Prozess), die 2000 startete, nahm die Zahl der Pflichtpraktika rasant zu. Kronberger spricht von 310.000 Pflichtpraktika im universitären Bereich und in den Schulen wie Handelsakademien oder HTLs. Diese Entwicklung hat aus ihrer Sicht zu einem "parallelen Arbeitsmarkt" geführt, auf dem "junge Leute illegal beschäftigt werden". Von ihren Erfahrungsberichten her ist Kronberger überzeugt: "Die Situation wird immer drastischer und schlimmer."

Was tut die Politik im Wahljahr dagegen? Die SPÖ und die Grünen fordern ein eigenes Gesetz, das Praktikanten besserstellt. Doch das wäre für Kronberger "praxisfern". Sie warnt vor einem "Arbeitsrecht light". Man dürfe Umgehungsverhältnisse nicht legalisieren.

Wo kein Kläger . . .

Auf der Sozialpartnerkonferenz in Bad Ischl verwies Sozialminister Rudolf Hundstorfer auf Gesetze gegen solche Umgehungen. Doch Kronberger sagt: "Es gibt keine Kläger." Niemand wolle sich mit potenziellen Arbeitgebern anlegen und sich die Einfahrt in den sicheren Jobhafen verbauen.

Der Bundesvorstand und Bildungssprecher der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft, Florian Lerchbammer, warnt vor einer arbeitsrechtlichen Verankerung des Praktikums. "Die Zahl der Praktika würde extrem abnehmen, weil es sich Klein- und Mittelbetriebe nicht leisten könnten, einen Praktikanten wie eine Vollzeitkraft zu entlohnen. Das widerspricht dem Grundgedanken." In der Verwaltung habe eine neue Regelung für Praktikanten die Zahl der Plätze deutlich reduziert. Eingeführt wurde eine Art Mindestlohn. "Das ist natürlich eine soziale Verbesserung. Aber gleichzeitig kommen jetzt weniger Anwärter überhaupt zum Zug", sagt Lerchbammer.

Gratisjahr im AKH

Aber auch der Uni-Politiker kennt den wachsenden Druck, der auf den Schultern der Generation Praktikum lastet. "Es kann nicht sein, dass Medizinstudenten im klinisch-praktischen Jahr im Krankenhaus mitarbeiten und nichts bekommen. Vor allem dann, wenn die Studenten keine Familienbeihilfe mehr haben und das Krankenhaus außerhalb des Wohnortes liegt. Das ist dann noch dazu mit Mehrkosten verbunden." Aufwendige und teure Praktika in Botschaften könnten sich überhaupt nur Kinder von Eltern mit "dicker Brieftasche" leisten. "Gute Praktika dürfen nicht nur etwas für Betuchte sein." Lerchbammer fordert "behutsame" Lösungen wie das Gütesiegel Praktikum. Damit werden Betriebe und Institutionen ausgewiesen, die Praktikanten fair behandeln.

Auch Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner sieht beim Praktikum nicht die Frage der Bezahlung, sondern die der Ausbildung im Vordergrund. Ein vom Ministerium in Auftrag gegebener Jugendmonitor hat ergeben, dass knapp 50 Prozent der befragten Jugendlichen für ihre Arbeit in einem Praktikum bezahlt wurden. Doch nicht das Geld, sondern das Sammeln von Erfahrung sei herausragendes Motiv. Mitterlehner setzt auf eine Checkliste für Qualitätspraktika, die den Zugang zum Praktikum erleichtern soll.

Für Kronberger ist der Fokus auf die Ausbildung zu eng, denn das Problem reiche längst über das Studium hinaus. "Ich kenne Akademiker, die bis 35 in der Praktikumsschleife hängen - selbst wenn sie dazwischen kurz angestellt oder freie Dienstnehmer waren. Da reden wir zum Beispiel von 80-Stunden-Jobs in der Bank über Monate. Was hat das noch mit einer Ausbildung zu tun?"

Wenn sich die Situation nicht bessert, überlegt die Plattform, eine "Shaming-Liste" einzurichten -also eine Art öffentlichen Pranger für Firmen und Stellen, die Praktikanten schlecht behandeln.

Hört uns jemand?

Im Wahlkampf war über die Generation Praktikum wenig zu hören. Dafür umso mehr über die Generation Pension. Kein Wunder: Die ist homogener und stellt ein Drittel der Wähler. Ihnen werden "sichere Pensionen" versprochen. Für Akademiker in der Praktikumsschleife ist nur eines sicher: Sie sind eine jener Gruppen, die laut Experten durch die vergangenen Pensionsreformen mit den größten Einbußen rechnen müssen.