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Die vertane Chance der Generäle

Von Pascale Trouillard

Politik

Tausende Anhänger riefen begeistert ihren Namen, Journalisten aus aller Welt drängten sich vor ihrem Wohnhaus in der Hauptstadt Rangun: Es war eine Sensation, als die Symbolfigur der burmesischen Demokratiebewegung, Aung San Suu Kyi, gestern vor einem Jahr aus ihrem langjährigen Hausarrest entlassen wurde. Nun würde es bestimmt aufwärts gehen, würde das Militärregime mit der Friedensnobelpreisträgerin verhandeln, bekäme die Demokratie eine Chance, hoffte die internationale Gemeinschaft. Doch seither hat sich in Burma kaum etwas getan.


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Zusammen mit der Friedensnobelpreisträgerin ließ die Junta unter General Than Shwe noch ein paar Dutzend weiterer politischer Gefangener frei, gewährte Suu Kyi landesweite Reisefreiheit und ließ endlich die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) ins Land. Gleichzeitig nahmen die Militärs aber weitere Regimekritiker fest, setzten Suu Kyis Nationale Liga für Demokratie (NLD) unter Druck und verweigerten dem UNO-Sondergesandten Razali Ismail seit Jänner vier Mal die Einreise.

Vor allem aber verweigerten die Militärmachthaber den politischen Dialog, auf den nach Suu Kyis Freilassung so viele gehofft hatten. Die charismatische Politikerin, Tochter des ermordeten Unabhängigkeitshelden General Aung San, hatte vor einem Jahr geglaubt, "in einigen Wochen" werde es soweit sein. Ein Irrtum, denn bis heute hat auf höherer Ebene überhaupt kein Kontakt stattgefunden. "Im Augenblick ist ein erster Schritt anscheinend noch weit entfernt", schätzt ein westlicher Diplomat in Rangun die Lage ein.

"Man kann nicht sagen, wie lange es noch dauert, bis ein Dialog beginnt", sagt U Lwin, der Sprecher von Suu Kyis NLD. "Wir müssen warten." Lediglich die USA scheinen vom Warten aber allmählich genug zu haben. US-Außenminister Colin Powell fand vergangene Woche harte Worte für die burmesische Junta: "Es ist ein despotisches Regime, wir verurteilen seine Politik und wir verurteilen die Art, in der Aung San Suu Kyi vom politischen Prozess ferngehalten wird", betonte Powell vor einem Senatsausschuss in Washington.

Auch Suu Kyi selbst, die gestern eine Reise quer durchs Land antrat, beklagte sich öffentlich über den ausgebliebenen Dialog. "Ich bin zum Schluss gekommen, dass die Regierung an einer landesweiten Versöhnung nicht interessiert ist", klagte sie. "Eine Veränderung ist aber unausweichlich." Juntamitglied General Than Tun bezeichnete daraufhin die NLD-Vorsitzende als "überfordert". Man müsse sie fragen, ob sie mit ihren "grundlosen Anschuldigungen" die burmesische Regierung "vor der Welt gezielt diskreditieren" wolle. Die NLD-Forderung nach einem "demokratischen Übergang" bezeichnete der General als "überholt".

Militärdiktator Than Shwe war 1988 durch einen Putsch an die Macht gekommen, nachdem die Armee einen prodemokratischen Aufstand niedergeschlagen und dabei Tausende getötet hatte. Bei den Wahlen zu einer Verfassunggebenden Nationalversammlung zwei Jahre später gewann die Nationale Liga für Demokratie unter Suu Kyi mit Vierfünftelmehrheit, die Junta weigerte sich aber, das Heft aus der Hand zu geben.

Ihr friedliches, aber unbeugsames Engagement hat Suu Kyi im Westen zur Ikone der Demokratie werden lassen. Immer wieder wird sie mit Gandhi oder Mandela verglichen, werden ihre Schönheit und Klugheit gepriesen. Weil die Politikerin keine Gesprächspartner findet, opfert sie ihr Privatleben nun weiterhin der Parteiarbeit. "Seit der Freilassung unserer Anführerin bringen wir die Partei wieder auf die Beine", verkündet NLD-Sprecher U Lwin stolz. Im ganzen Land habe das Demokratiebündnis inzwischen wieder rund 100 Büros, was vor allem Suu Kyis sieben langen Rundreisen zu verdanken sei. Außerdem werbe das Bündnis seit November verstärkt um neue Mitglieder. "Viele junge Leute sind beigetreten, dank des persönlichen Einsatzes von Aung San Suu Kyi." So lässt sich auch erklären, weshalb zum ersten Jahrestag ihrer Freilassung keine Feier geplant ist. Die NLD-Vorsitzende sei einfach "zu beschäftigt". AFP