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Christen misstrauen islamistischem Staatsoberhaupt Mohammed Mursi.
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Kairo. Manchmal reicht ein Gerücht, um die Volksseele in Ägypten zum Kochen zu bringen. Seit dem Beginn der Revolution Ende Januar 2011 liegen die Nerven der 81 Millionen Bewohner blank. So auch am Sonntag, als im Zuge eine Trauerfeier in der Kairoer Sankt-Markus-Kathedrale zu massiven Ausschreitungen zwischen Kopten und Muslimen kam. Tags zuvor waren vier Christen bei Ausschreitungen in der Provinz Kaljubija nördlich von Kairo zusammen mit einem muslimischen Jugendlichen ums Leben gekommen. Auslöser war ein Kreuz, das Kopten angeblich auf eine Moschee gemalt haben sollen. Augenzeugen dafür gibt es keine.
Als wütende Teilnehmer bei der Trauerfeier in der Kairoer Kathedrale Parolen gegen Präsident Mohammed Mursi und die Regierung riefen, wurden die Christen mit Schusswaffen, Brandsätzen und Steinen angegriffen. Sie konterten ihrerseits mit Steinwürfen. Fünf weitere Tote und viele Verletzte waren die Folge. In einem Telefongespräch mit dem Papst der koptischen Kirche, Tawadros II., habe Mursi erklärt, jeder Angriff auf die Markus-Kathedrale sei wie ein Angriff auf ihn selbst, meldete das staatliche Fernsehen. Doch auch am Montag kam es vor der Kathedrale zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Christen, insgesamt beruhigte sich die Lage aber etwas.
Von Anfang an war klar, dass die Beziehungen zu den etwa acht Millionen Christen eine der größten Herausforderungen für Mursi sein wird. Immer wieder kommt es zu religiösen Unruhen zwischen Muslimen und Kopten. Diese gab es auch schon unter dem gestürzten Präsidenten Hosni Mubarak. Damals kam es zumeist in den Dörfern Oberägyptens zu Familienfehden oder Eifersüchteleien, die aber nicht primär religiös geprägt waren.
Kopten sehen nun ihre Ängste bestätigt
Doch seit dem Umbruch häufen sich die konfessionellen Feindseligkeiten. Ein besonders prägnantes Beispiel für die heftigen Gewaltausbrüche waren die Ausschreitungen Ende vergangenen Jahres, als in Kairo 26 Menschen starben, der Großteil davon Christen. Damals hatten Unbekannte eine Kirche in Brand gesteckt, was zu Aufruhr unter den Christen führte. Als dann das staatliche Fernsehen den Verdacht einer Konterrevolution unter der Ägide der Christen äußerte, brach sich der Zorn der Muslime Bahn. Zwischen dem Informationsministerium, vor dem zuvor Christen friedlich gegen die Brandschatzung ihrer Kirche demonstriert hatten, und dem Tahrir-Platz kam es zu verheerenden Straßenschlachten.
In der Stichwahl um das Präsidentenamt im Juni 2012 votierte die Mehrheit der Kopten denn auch für Mubaraks früheren Premier Ahmed Shafik, obwohl sie zuvor bei den Demonstrationen für ein Ende des Mubarak-Regimes mitgemacht hatten. Doch die Angst vor einem islamistischen Staatsoberhaupt war zu groß. Und viele fühlen sich jetzt bestätigt, obwohl Mursi alles versucht, diese Angst zu dämpfen, indem er die Gleichheit "aller Ägypter" betont. Allerdings sind es seine Taten und nicht seine Worte, an denen die Kopten Mursi messen. Der Eklat in der verfassunggebenden Versammlung, als die Kopten aus Protest das Gremium verließen, hat das Misstrauen noch größer werden lassen.
Zusammen mit den ultrakonservativen Salafisten peitschte Mursis Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, der politische Arm der Muslimbrüder ein Grundgesetz durch, das Liberale, Säkulare und Christen extrem verärgert. Vor allem die Durchsetzung der Scharia als primäre Rechtsquelle laufe dem Gleichheitsvorsatz Mursis völlig zuwider, so die Kritik koptischer Verbände. Doch die Islamisten setzten alles daran, die Verfassung durch ein Referendum zu legitimieren. Sie bekamen eine Mehrheit bei minimaler Wahlbeteiligung. Seitdem sind die Kopten verunsichert und fühlen sich verletzbar. Es werde noch dazu kommen, dass auch Christinnen sich verschleiern müssen, fürchten viele von ihnen.