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Die Verzerrung der Freiwilligkeit

Von Ulrike Famira-Mühlberger

Gastkommentare
Ulrike Famira-Mühlberger ist stellvertretende Leiterin des Wirtschaftsforschungsinstituts.

In weiten Teilen Österreichs lässt die Kinderbetreuung nur eingeschränkte Erwerbstätigkeit der Eltern zu.


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"Mütter oft freiwillig nicht berufstätig" titelte ORF.at kürzlich und präsentierte den Bericht "Familien in Zahlen" des Österreichischen Instituts für Familienforschung (ÖIF). Eine Auswertung des ÖIF für die APA zeigt Daten, die nicht im zitierten Bericht enthalten sind, aber Interessantes zutage bringen: Der Großteil der nichtberufstätigen Frauen mit kleinen Kindern gibt an, dass sie nicht arbeiten, weil sie die Betreuung selbst übernehmen wollen. Selbst bei jenen Müttern, deren jüngstes Kind acht Jahre alt ist und die wegen Betreuungsaufgaben nicht berufstätig sind, gibt mehr als die Hälfte der Befragten diesen Grund an.

Hier gibt es eine Menge Diskussionsstoff. Klar ist, dass die Darstellung verzerrend wirkt, weil es sich ja nur um eine kleine Untergruppe aller Frauen mit Kindern handelt. Genauso richtig ist nämlich, dass die aktive Erwerbstätigenquote von Frauen mit Kindern im Alter zwischen drei und fünf Jahren mit 76,7 Prozent recht hoch ist, von jenen mit Kindern im Alter zwischen sechs und neun Jahren sogar 80,2 Prozent. Ausdrücken will ich damit, dass ein starker Zoom in einen kleinen Ausschnitt der Bevölkerung Daten zutage bringen kann, die die Gesamtheit der Situation nur unzureichend - oder auch oft verzerrt - abbilden.

Die andere Ebene, die es hier zu diskutieren gibt, ist die dargestellte "Freiwilligkeit". Dazu braucht es eine differenzierte Debatte. Selbstverständlich gibt es viele Frauen, die vor allem kleinere Kinder selbst betreuen wollen. Aber die Freiwilligkeit, die hier tituliert wird, ist ja kein Ergebnis jenseits von Rahmenbedingungen.

Was sind die Rahmenbedingungen? Einige "hard facts": in weiten Teilen Österreichs lässt die Kinderbetreuung in Kindergärten und Volksschulen nur eingeschränkte Erwerbstätigkeit der Eltern zu. Denken Sie an die Öffnungszeiten oder die Ferienschließzeiten. Schulkinder haben rund 16 Wochen im Jahr frei - dem steht ein Urlaubsanspruch von fünf Wochen pro Elternteil gegenüber. Darüber hinaus gibt es noch immer viele Regionen, wo es kaum Nachmittagsbetreuung für kleinere Kindergartenkinder gibt.

Weiteres Fakt ist, dass wir wissen, dass Frauen im Durchschnitt weniger verdienen als ihre Partner, was die Entscheidung, wer Voll- und wer Teilzeit - oder auch gar nicht - arbeitet, selbstverständlich determiniert.

Dazu kommen noch zahlreiche "soft facts": Auch wenn der Großteil der Kindergartenpädagoginnen und -pädagogen enorm engagiert ist, sind die Betreuungsverhältnisse einfach unzureichend - oft betreuen zwei Personen eine Gruppe von 25 Kindergartenkindern. In vielen Volksschulen fehlt sogar der Platz für ausreichende Nachmittagsbetreuung, in den Unterstufen der Sekundarstufe ist die Situation oft noch gravierender.

Aus Zeitverwendungserhebungen wissen wir außerdem, dass die Aufteilung der Haus- und Betreuungsarbeit ungleich zwischen Männern und Frauen verteilt ist, mit einer insgesamt höheren Arbeitslast für Frauen. Das vorherrschende traditionelle Familienbild, gegen das zu wenige politische Akzente gesetzt werden, tut sein Übriges. Wollen wir die enorm gestiegene Bildung der jüngeren Generationen sinnvoll und fair einsetzen und damit unter anderem den Fachkräftemangel reduzieren, dann müssen wir hier eine differenzierte Debatte führen.

So eine Wirtschaft: Die Wirtschaftskolumne der "Wiener Zeitung". Vier Expertinnen und Experten schreiben jeden Freitag über das Abenteuer Wirtschaft.