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Die vielen alten Probleme Nigerias - und ein neues: Führungsschwäche

Von Hans Kronspieß

Analysen

Unruhen in Nigeria haben eine Ähnlichkeit mit aktiven Vulkanen: Sie können jederzeit ausbrechen. Zuletzt geschehen diese Woche in Jos, der Hauptstadt des zentralen Bundesstaats Plateau. Bei Zusammenstößen zwischen Christen und Moslems sind seit Sonntag fast 500 Menschen getötet worden. Insgesamt kamen seit Ende der Militärdiktatur 1999 bei Unruhen in dem westafrikanischen Land laut Human Rights Watch 13.500 Menschen um.


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Gründe für die Gewalt in Nigeria lassen sich viele anführen: Das mit 150 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Land Afrikas vereint mehr als 250 ethnische Gruppen. Trotz reicher Ölvorkommen herrscht unfassbare Armut. Die Infrastruktur ist marod, die Strom- und Wasserversorgung instabil, die Schulen sind desolat, Universitäten und Krankenhäusern fehlt es am Notwendigsten.

Und auch die Religion vermag die Konflikte in Nigeria nicht zu befrieden - im Gegenteil: Die Bevölkerung ist in etwa 50 Prozent Moslems und 40 Prozent Christen gespalten.

Die religiöse Spirale der Gewalt wird in letzter Zeit vor allem durch eine islamistische Sekte in Gang gehalten. Sie trägt den Namen "Boko Haram", was so viel heißt wie "moderne Erziehung ist Sünde". Sie orientiert sich an den afghanischen Taliban. Und fordert, dass überall in Nigeria die Scharia gelten soll, das islamische Recht.

Wie stark Boko Haram ist, bleibt unklar. Der verstorbene Sektenführer Mohamed Yusuf soll aber sogar Osama bin Laden persönlich getroffen und 150 Millionen US-Dollar für den Aufbau einer Al-Kaida-Zelle in Nigeria erhalten haben.

Zu all den alten Problemen Nigerias ist in jüngster Zeit noch ein neues getreten: politische Führungsschwäche. Präsident Umaru YarAdua, 2007 ins Amt gewählt, ist schwer herzkrank und liegt seit Ende November in einer saudiarabischen Klinik. Angaben zu seinem Gesundheitszustand oder einer möglichen Rückkehr sind vage. Für die Zeit seiner Abwesenheit hat er niemanden formell mit der Führung der Amtsgeschäfte betraut, wie es laut Verfassung vorgesehen wäre.

In der Praxis vertritt Vizepräsident Goodluck Jonathan den Staatschef - ein Mann, der immer wieder mit gravierenden Korruptionsvorwürfen konfrontiert war. Ob der Christ als vorzeitiger Nachfolger des Moslems YarAdua mit breiter Akzeptanz rechnen kann, ist fraglich: In Nigeria wechseln sich Moslems und Christen im Präsidentenamt traditionell ab, und die Amtszeit YarAduas aus dem moslemischen Norden soll eigentlich erst 2011 auslaufen.

Eine nigerianische Zeitung brachte das aktuellste politische Problem des Landes auf den Punkt: "Wir sind 150 Millionen Schafe ohne einen Hirten." Niemand allerdings weiß, wie lange sie noch - zumindest einigermaßen friedlich - beisammen bleiben werden.