Im Jahr 2018 starben in Österreich 184 Menschen an Drogen. Allein 24 im kleinen Kärnten. So viele wie noch nie. Ein "Ausreißer"? Die blanken Zahlen alleine sind wenig aussagekräftig.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Zu Neujahr wurde bekannt, dass ein 21-Jähriger aus Villach in seiner Wohnung an einer Überdosis aus einem Drogen- und Medikamentenmix verstarb. Wenige Wochen zuvor wurde bereits ein 26-Jähriger im Bezirk Spittal an der Drau mit Verdacht auf Drogenmissbrauch daheim tot vorgefunden.
Fälle wie diese werden in Österreich von der Polizei immer wieder publik gemacht. Es ist aber kein Zufall, dass hier zwei Fälle aus Kärnten angeführt sind. Das Bundesland fällt vor allem wegen seiner sprunghaft angestiegenen Zahl von Drogentoten auf. 24 gab es im Jahr 2018 in Kärnten. Fast doppelt so viele wie im Jahr davor - da waren es noch 13. Das geht aus dem Drogenbericht des Gesundheitsministeriums für das Jahr 2019 hervor. Jahrelang lag Kärnten im einstelligen Bereich. Zwischen 2015 und 2018 folgte ein kontinuierlicher Anstieg von Drogentoten. In Relation pro 100.000 Einwohner zwischen 15 und 64 Jahren rangierte Kärnten mit 6,6 Sterbefällen im Jahr 2018 mit einem Mal vor Wien (6,1) an der Spitze. In der Hauptstadt starben damals 79 Menschen an Drogen - die meisten in Österreich.
Das Problem ist der Mischkonsum
Kärntens Gesundheitsreferentin und Landeshauptmann-Stellvertreterin Beate Prettner (SPÖ) versuchte die Diskussion darüber damit zu beruhigen, dass Kärnten mit 15 Drogentoten im vergangenen Jahr nun wieder im "langjährigen Schnitt" und wohl unterhalb des Österreich-Schnitts liegen könnte. Dies ist aber der zweithöchste Wert zumindest seit der Jahrtausendwende in Kärnten und wie die Zahlen der anderen Bundesländer aus dem Vorjahr aussehen, lässt sich deshalb noch nicht eruieren, da die Drogentodbilanz für das Jahr 2019 noch vorliegt.
Aber nicht nur die Entwicklung der Drogentoten in Kärnten fällt auf. Auch die Anzeigen nach dem Suchtmittelgesetz nahmen dort wie in den meisten anderen Bundesländern deutlich zu. Einerseits, weil die Polizei mehr Ressourcen in die Aufklärung von Suchtgifthandel steckt. Andererseits "haben die Migrationsströme seit 2015 einen Einfluss auf die Steigerung der Anzeigenzahlen bei den Suchtmitteldelikten", erklärt die Landespolizeidirektion Kärnten. Diese berichtet immer wieder von selbst offensiv über festgenommene Dealer, Schmuggler und vereinzelt über ausgehobene Drogenringe in Kärnten. Beutefotos werden der Außenwelt regelmäßig stolz präsentiert. Hat Kärnten ein Drogenproblem?
Barbara Drobesch-Binter ist Leiterin der Suchtkoordination Kärnten. Ihre Analyse spricht gegen einen Alarmismus. Aufgrund der Vorfälle 2018 untersuchten Experten die Drogentodesfälle der vergangenen drei Jahre. "Sie kamen zu dem Ergebnis, dass 2018 ein statistischer Ausreißer war und keine Gesetzmäßigkeiten zu erkennen sind", so Drobesch-Binter.
Die Todesfälle unter Jüngeren sind eher auf einen "hochriskanten Experimentierkonsum" zurückzuführen, erklärt sie. Meist waren die Verstorbenen davor weder polizeilich auffällig, noch besuchten sie eine Beratungsstelle. Bei Älteren war es der jahrzehntelange Konsum, der den Körper so schädigte, dass eine hohe Mischdosierung zum Tod führte. Die Leiterin der örtlichen Drogenkoordination kann auch kein generelles Kärnten-Spezifikum in den Fällen erkennen. Nur wenige Betroffene waren vor ihrem Tod in Behandlung, die meisten Drogenpatienten hatten wenig überraschend eine schwierige Biografie, die meisten keine abgeschlossene Berufsausbildung.
Drogen kommen aus Slowenien oder über das Darknet
"Was auffällig ist, aber auch nicht nur in Kärnten", sagt Drobesch-Binter, "zu Todesfällen kommt es nicht mehr wie vor Jahren durch eine Heroin-Überdosis, sondern zu einem hohen Prozentsatz durch eine Mischvergiftung." Etwa durch gleichzeitigen Konsum von Opiaten, Cannabis, Alkohol und Medikamenten wie Benzodiazepin. Letzteres ist in verschreibungspflichtigen Schlaf- und Beruhigungsmitteln enthalten, "die man unter anderem durch Verschreibung vom Hausarzt bekommt, die aber auch am Schwarzmarkt abgegeben werden", sagt Drobesch-Binter.
Etwa die Hälfte der Drogentoten in Kärnten aus dem Jahr 2018 sei auf Mischkonsum zurückzuführen, heißt es aus dem Kriminalamt der Landespolizei. Vereinzelte Hinweise auf Suizidabsicht gibt es zwar, Statistiken dazu werden aber nicht geführt.
Die zunehmenden Drogentodesfälle sind aber für die Polizei kein Kärnten-Phänomen, sondern "weltweit zu erkennen". Den "Ausreißer" 2018 führt die Exekutive "auf die leichte Verfügbarkeit von Drogen im Straßenhandel und im Darknet" zurück.
Aus Slowenien, wo laut Polizei mehrere Drogenkartelle international tätig sind, kommt beispielsweise "günstiges Heroin" nach Kärnten. Dieses wird entweder professionell geschmuggelt oder durch "Einkaufsfahrten" von Konsumenten eingeführt - über die Balkanroute oder den Seeweg. "Ganz besonders zu beachten ist allerdings die hohe Qualität von Cannabis und die hohe Reinheit von Heroin und Kokain, was im Einzelfall letale Reaktionen hervorrufen kann", heißt es von der Kärntner Landespolizeidirektion.
Aber auch der Handel mit Drogen im Internet und Darknet boomt. Bisweilen ist dieser aber "nur" eine Ergänzung zum Straßenverkauf. "Der Handel auf Online-Plattformen wird genützt, um illegale Suchtmittel zu erwerben und im Straßenverkauf gewinnenbringend weiterzuverkaufen", so das Kriminalamt.
Österreich in der Frankfurter Zoll-Hitlist auf Platz zwei
Reinhold Jank beschäftigt sich in der Kärntner Landespolizeidirektion in der IT-Abteilung seit Jahren mit dem Darknet. Dieses kann man sich gewissermaßen als einen anonymeren Teil des Internets vorstellen, der nur über bestimmte Browser erreichbar ist. Über Suchmaschinen seien die Drogen-Marktplätze darin einfach zu finden, der Bezug von jeglichen Substanzen sei daher auch "relativ leicht", sagt Jank. Aber nicht nur das. Auch der Kauf beispielsweise von Waffen, gestohlenen Kreditkarten und Medikamenten, von originalen bis hin zu Fakevarianten, lässt sich im Darknet abwickeln.
Durch die weitgehendende Anonymität ist die Aufklärung für die Polizei im Darknet schwierig. "Wenn jemand keinen Fehler macht, kommt man ihm nur schwer auf die Schliche", sagt auch Jank.
Aber es gibt Möglichkeiten. Über konkrete Strategien will der IT-Spezialist nicht sprechen, um keine Tipps zu geben. Aber die Überwachung des Postwegs und die Nachvollziehung des Geldflusses sind durchaus Ermittlungsansätze. Bei fast jeder Hausdurchsuchung bei einem Händler ließe sich eine Verbindung zum Darknet ausmachen, so Jank.
Dass der Online-Suchtgifthandel hierzulande durchaus Konjunktur hat, lässt sich auch in Zahlen gießen. Kürzlich meldete das Wiener Zollamt einen deutlichen Anstieg von 41,2 Kilogramm auf 73,7 Kilogramm von unterschiedlichsten Suchtmitteln, die in Pakete und Briefen sichergestellt wurden. Seit 2016 gibt es auch Schwerpunktkontrollen des Zollfahndungsamts im internationalen Briefzentrum in Frankfurt. Bisher wurden etwa 10.000 Briefsendungen mit Drogeninhalt mit Adressaten aus 90 unterschiedlichen Nationen dort abgefangen. Österreich belegt im Briefzentrum seit Beginn der Kontrollen hinter den USA und vor Destinationen wie Großbritannien oder Frankreich Platz zwei der Empfängerstatistik, heißt es im Lagebericht der Suchtmittelkriminalität 2018 des Bundeskriminalamts. Von den insgesamt 803 Kilogramm Suchtgift, die sichergestellt wurden, waren 138 Kilogramm nach Österreich bestimmt.
Vom Zoll lassen sich die Lieferanten aber nicht wirklich abschrecken. Diese liefern die Ware zum Teil unentgeltlich nach, wenn sie beim Zoll hängen bleibt. "Die Händler rechnen mit einem Verschleiß", sagt Jank. Das hängt auch damit zusammen, dass die Händler in den Rankings gut bewertet werden wollen, um im Darknet weiter vorne gelistet zu sein. Und selbst wenn ein größerer Darknet-Händler ausgehoben wird, könne man davon ausgehen, dass in kürzester Zeit "die anderen Marktplätze, die schon recht groß sind, noch mehr wachsen, weil sich die Händler einen neuen Platz suchen, wo sie ihr Zeug loswerden können", sagt Jank.
Eine Ärztin verschrieb wahllos Opiate an Drogenpatienten
Zurück nach Kärnten. Dort tut sich auch im analogen Raum etwas. Eine Kärntner Ärztin stand Anfang Dezember 2019 vor dem Landesgericht in Klagenfurt. Die Staatsanwältin warf ihr Suchtgifthandel vor. Die 51-jährige Allgemeinmedizinerin verschrieb Abhängigen zum Teil hohe Dosen von Opiaten. Die Gebietskrankenkasse wurde auf die legere Verschreibungspraxis der Ärztin aufmerksam. An die 50 Suchtgiftpatienten wurden von ihr betreut.
Die Frau verschrieb ihren Klienten die Medikamente, nach denen sie fragten. Darunter ein Opiat, das für die Therapie von Drogenpatienten nicht zugelassen war. Eine Zusatzausbildung für solche Therapien hatte sie nicht. Die Leitlinien des Gesundheitsressorts bei der Opiatverschreibung waren ihr nicht bekannt. Dass die Medikamente auf dem Schwarzmarkt landen könnten, daran hätte sie nicht gedacht, sagte die Frau aus. Die Staatsanwältin bezifferte den Schwarzmarkt-Preis pro Opiat-Tablette eines Präparats mit 35 Euro. Die Ärztin verschrieb eine 30er-Packung davon. Die Ärztin entging einer Verurteilung, weil sie sich nicht bereichert, sondern aus Naivität gehandelt habe, so der Gerichtsentscheid. Zudem stellte sie ihre Verschreibungspraxis ein. Es blieb bei einer Geldbuße von 8100 Euro und Rückerstattung von 6000 Euro an die Gebietskrankenkasse.
Das lockere Verschreiben bleibt aber wohl eine Ausnahme in Kärnten. Zumindest wenn es nach Wolfgang Wladika, Primar und Vorstand der Abteilung für Neurologie und Psychiatrie des Kinder- und Jugendalters vom Klinikum Klagenfurt geht. Wladika war einer jener Experten, die die Todesfälle in Kärnten analysierten. "Aus meiner Sicht gibt es einzelne Ärzte, die zu leicht verschreiben", sagt er. Nach Interventionen von Experten wie Wladika gab die Gebietskrankenkasse nun eine Liste heraus, wie viel welcher Arzt verschreibt. Der Appell von Wladika lautet, mit Benzodiazepin, Schmerzmitteln, und Lyrica - eine angstlösende Substanz, die missbräuchlich verwendet wird - behutsamer und vorsichtiger umzugehen. "Da gibt es noch intensiven Aufklärungsbedarf."
Aber auch aus Sicht von Wladika habe Kärnten kein größeres Drogenproblem als andere Bundesländer. "Wir haben natürlich die Nähe zu Slowenien. Von dort kommen aber in der Regel Substanzen, die bei den meisten Todesfällen keine Rolle gespielt haben." Für Wladika war 2018 ein Ausreißer. Wenngleich der Primar einräumt: "Der Rückgang an Todesfällen ist im Jahr 2019 nicht so groß wie erwartet." Auch die Drogenkoordinatorin Drobesch-Binter traut sich nicht zu versichern, dass es in Kärnten in Zukunft weniger Drogentodesfälle gibt. "Das sind oft unglückliche Umstände, die da zusammentreffen", sagt sie.
Beide Experten teilen die Meinung, dass es in Kärnten grundsätzlich eine gute Versorgung für Drogenpatienten gebe. Erst vor kurzem wurden zwei neue Drogenberatungsstellen in Feldkirchen und Wolfsberg eröffnet. Der Kontakt zu den Apotheken und der Ärztekammer sei vorhanden, sagt Primar Wladika. Denn: "Die Verschreibungspraktiken müssen regelmäßig hinterfragt werden."
Viel wichtiger sei aber, "Drogenkonsumenten in Behandlung zu bekommen", erklärt er. Suchterkrankungen, insbesondere mit illegalen Substanzen, beispielsweise mit Opiaten, Kokain und anderen chemischen Substanzen, sei eine massive Erkrankung mit hohem Risiko. Bekommt man die Patienten in Behandlung, sei das eine Sicherheitsstufe, mit der "die Wahrscheinlichkeit, akut zu versterben, deutlich reduziert wird".
Wladika bittet, die bedauerliche Zahl der Drogentoten in Österreich wie in Kärnten in Relation zu setzen. "Wie viele Tote haben wir durch Nikotin und Alkohol", fragt er. Laut einer IHS-Studie lassen sich 12.840 Todesfälle in Österreich auf das Rauchen zurückführen, etwa 1260 auf Alkohol, wenn man nur die Todesfälle an Leberzirrhosen heranzieht. Grundsätzlich deutlich mehr. Experten des Sozialressorts geben aber zu bedenken, dass "es fast unmöglich ist, seriös die Kausalität jedes einzelnen Todesfalls genau an Konsum von Alkohol oder Tabak festzumachen". Der Konsum erhöht aber die Wahrscheinlichkeit einer Folgeerkrankung, etwa an Krebs. Auch hier sagt die blanke Zahl alleine noch wenig aus.