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Die vielen Gesichter des Terrors

Von Klaus Huhold

Analysen

Die jüngste Attentatsserie zeigt, dass der IS auch eine Vielzahl verschiedener Interessen verfolgt.


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Dhaka/Riad/Wien. Und schon wieder. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendwo eine Bombe hochgeht oder sich ein Selbstmordattentäter in die Luft sprengt, mit dem Ziel, möglichst viele Opfer mit in den Tod zu reißen. Gestern, Mittwoch, war der Jemen an der Reihe. Zwei Selbstmordattentäter sprengten sich in ihren Fahrzeugen in die Luft, was den Angriff auf eine Militärbasis auf einen Stützpunkt der Armee in der Hafenstadt Aden einleitete. Bei den darauf folgenden Gefechten wurden laut offiziellen Angaben mindestens 20 Angreifer und sechs Soldaten getötet. 

Zunächst hat sich niemand zu dem Anschlag bekannt, doch im Verdacht standen sogleich Al-Kaida und der sogenannte Islamische Staat (IS). Jemen ist ein Bürgerkriegsland, Al-Kaida hält dort schon seit Jahren ganze Territorien. Aber auch der IS hat in den letzten Monaten immer wieder Attentate verübt. Wer auch immer für den jüngsten Anschlag letztlich verantwortlich war, die selbsternannten Gotteskrieger sind im Jemen Kriegspartei, versuchen das Chaos dort zu nutzen, um Einfluss, Kämpfer und Land zu gewinnen.

Auch wenn der Jemen aufgrund des Zusammenbruchs sämtlicher staatlicher Strukturen besonders anfällig für Anschläge ist, zeigt das Attentat doch, dass auch nach dem Ende des Fastenmonats Ramadan nicht mit einem Ende der Anschläge zu rechnen ist. Vor allem der IS hatte schon das Ende des heiligsten Monats der Muslime dafür genutzt, um mit Gräueltaten auf sich aufmerksam zu machen.

Kriegserklärung an das Königshaus Saud

Er verübte den verheerenden Selbstmordanschlag in Bagdad, bei dem die Opferzahl mittlerweile auf mindestens 250 Tote gestiegen ist und wegen dem am Mittwoch Innenminister Mohammed Ghabban sein Rücktrittsgesuch einreichte. Der IS bekannte sich auch zu der Geiselnahme in Bangladesch mit mindestens 22 Todesopfern, er wird hinter dem Anschlag auf den Istanbuler Flughafen Ende Juni mit mindestens 45 Toten und auch hinter der Attentatsserie in Saudi-Arabien, bei der nicht einmal die heilige Stadt Medina verschont wurde, vermutet.

Der IS machte damit erneut deutlich, dass er auch alle Muslime, die ihm nicht folgen wollen, als Abtrünnige betrachtet - denn er schlug wieder einmal in muslimischen Ländern zu. Zudem wollte der Islamische Staat offenbar zeigen, dass er jederzeit und überall zuschlagen kann. Und er setzt offenbar verstärkt auf Attentate, je mehr ihm die internationale Anti-IS-Allianz mit ihren Angriffen im Irak und in Syrien Territorium entreißt. Erst gestern, Mittwoch, hat der IS in einem Video gedroht, dass sich die Anschläge "wiederholen und wiederholen und wiederholen werden, bis wir gewonnen haben und ihr verloren habt und in der ganzen Welt die Scharia herrscht".

Ein Mann aus Bangladesch gedenkt der Opfer des Terrors.
© M. Hirsch

Doch abseits von diesem größenwahnsinnigen gemeinsamen Ziel - die Eroberung der Weltherrschaft - und dem gemeinsamen Willen zur Vernichtung aller Feinde verfolgen die IS-Kämpfer verschiedene Interessen und zeigen viele verschiedene Gesichter. Das ist einer der Gründe, warum die Terrormiliz so schwer zu fassen und zu bekämpfen ist.

Beispiel Saudi-Arabien: Hier interpretieren Beobachter die Anschläge als eine Kriegserklärung an das Königshaus Saud. Der IS will der erzkonservativen Monarchie mitteilen, dass er sich als den wahren Vertreter des reinen Islam ansieht. Die Attacken würden darauf abzielen, der saudischen Monarchie ihre Position als Beschützer der heiligen Stätten des Islams abzusprechen, schreibt der US-Historiker Juan Cole auf dem Onlineportal "Truthdig".

Es waren Kinder der Elite, die in Bangladesch töteten

Beispiel Bangladesch: In dem südostasiatischen Staat, in dem vielerorts ein moderater Islam vorherrscht, hat der IS ein neues Schlachtfeld entdeckt. Für Aufsehen sorgte dabei auch die Herkunft der Attentäter. Sie kamen nicht, wie das zuvor in dem Land bei islamistischen Gewalttaten immer wieder der Fall war, aus den Armenvierteln, waren nicht in einer radikalen Koranschule indoktriniert worden. Ganz im Gegenteil: Die jungen Attentäter, die ihre Opfer mit Macheten niedermetzelten, waren Angehörige der Elite, hatten teils die besten Schulen und Universitäten des Landes besucht. Bangladesch rätselt, wie es so weit kommen konnte, die Regierung konnte bisher nicht viel mehr dazu sagen, als dass die Radikalisierung der Kinder der Reichen eine Mode geworden sei.

Und dieses Phänomen führt auch nach Europa: Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" verwies vor kurzem auf eine 2014 veröffentlichte Studie der "Queen Mary University of London", für die 600 Männer und Frauen mit pakistanischem, Bangladescher oder muslimischem Hintergrund befragt wurden. Nur 2,4 Prozent drückten Sympathien für Terror und Gewalt aus. Allerdings zeigte sich diese Sympathie stärker bei jungen Studenten und auch Großverdienern.

Bisher war das Profil der IS-Täter - man denke nur an die Attentäter von Paris und Brüssel - zumeist: Erfolglos im Leben, aufgewachsen am sozialen Rand der Gesellschaft wurde der IS zu ihrer neuen Heimat. Wenn dieser nun noch zusätzlich immer mehr unter den Gebildeten und Erfolgreichen Fuß fasst, dann droht das Problem mit dem Terror noch einmal gewaltiger zu werden.