Zum Hauptinhalt springen

Die Vielfalt der Mexikaner

Von Heiner Boberski

Wissen
Der genetische Unterschied zwischen manchen Einwohnern Mexikos ist so groß wie zwischen Europäern und Chinesen.
© science/Moreno

Die enorme genetische Diversität in Zentralamerika hat gewichtige gesundheitliche Implikationen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

San Francisco. Die Bevölkerung von Mexiko weist eine ungeheure genetische Diversität auf. Diese wirft auch ein Licht auf verschiedene Aspekte der Gesundheit in Lateinamerika. Das hat die bisher umfassendste diesbezügliche Studie ergeben. Sie wurde von Forschern der University of California San Francisco, der Stanford University und des Mexikanischen Nationalinstituts für Genom-Medizin (Inmegen) durchgeführt und gerade online im Fachjournal "Science" publiziert.

Die Arbeit dokumentiert nahezu eine Million genetischer Varianten unter mehr als 1000 Individuen. Sie enthüllt genetische Differenzen, die so weit gespannt sind wie jene zwischen manchen Europäern und Asiaten, was auf Bevölkerungsgruppen hinweist, die hunderte oder tausende von Jahren isoliert voneinander gelebt haben. Diese Unterschiede liefern eine Erklärung für die breite Vielfalt gesundheitlicher Faktoren unter den Latinos mexikanischer Herkunft. Dazu gehören etwa stark abweichende Raten an Brustkrebs und Asthma ebenso wie die therapeutische Reaktion.

"Über tausende von Jahren gab es in Mexiko eine ungeheure sprachliche und kulturelle Diversität, mit großen Reichen wie jenen der Azteken und der Maya, aber ebenso kleinen, isolierten Bevölkerungsgruppen", sagt Christopher Gignoux, mit Andres Moreno-Estrada Hauptautor der Studie. "Wir waren nicht nur in der Lage, diese Vielfalt quer über das Land zu messen, wir stellten auch eine enorme genetische Diversität fest, die reale gesundheitliche Implikationen hat. Sie basieren, und zwar genau, darauf, von wo in Mexiko die jeweiligen Vorfahren stammen."

Über Jahrzehnte haben Mediziner eine gewisse Spanne ihre Diagnosen auf dem echten oder vermeintlichen ethnischen Erbe der Patienten aufgebaut, inklusive Messungen der Lungenfunktion, um zu ermitteln, ob Krankheiten oder Umwelteinflüsse die Lunge eines Kranken geschädigt haben. In diesem Zusammenhang können Kategorien wie "Latino" oder "Afroamerikaner", die beide Menschen mit breitgefächerten Kombinationen von genetischer Herkunft widerspiegeln, gefährlich in die Irre führen und sowohl Fehldiagnosen als auch unkorrekte Behandlung verursachen. Was die Lungenkapazität betrifft, gibt es einen dramatischen Unterschied zwischen den diesbezüglich zehn Jahre jünger wirkenden Mestizen (Mischlingen) westmexikanischer indigener Herkunft und den Mestizen mit ostmexikanischen Vorfahren. Seit es das "Human Genome Project" gibt, wurden zahlreiche Studien über Gene und Krankheiten in Angriff genommen, sie konzentrierten sich aber, so die Forscher, in erster Linie auf europäische oder europäisch-amerikanische Bevölkerungen. Es gebe aber noch sehr wenig Wissen über die genetische Basis gesundheitlicher Unterschiede zwischen sehr vielfältigen Bevölkerungen.

"Bei einer Lungenkrankheit wie Asthma oder einem Emphysem wissen wir, dass es für deine Gene eine Rolle spielt, welcher Abstammung du bist", sagt der Mediziner und Co-Autor der Studie Esteban Gonzalez Burchard: "In dieser Studie erkannten wir, dass die Klassifizierung der Krankheit auch davon abhängt, zu welchem Typus von uramerikanischer Herkunft du gehörst. In der Sprache der Genetik ist das der Unterschied zwischen einer Nachbarschaft und einer genauen Straßenanschrift."

Die Forscher konzentrierten sich auf Mexiko als eine der größten Quellen präkolumbianischer Diversität. Das Land hat eine lange Geschichte komplexer Zivilisationen, die wechselnde Beiträge zur heutigen Bevölkerung leisteten. Der internationalen, mehrere Disziplinen (Anthropologie, Genetik, Biologie, Medizin) einbeziehenden Forschergruppe gehörten 40 Forscher, teils eng mit Statistik und Computeranwendungen vertraute Experten, an. Die Studie umfasste die meisten geographischen Regionen Mexikos und untersuchte 511 Personen aus 20 indigenen und 11 ethnisch gemischten Bevölkerungsgruppen (Mestizen). Die Daten wurden mit jenen aus zwei früheren auf Genetik und Lungenmessungen bezogenen Studien verglichen. Dazu gehörte die von Burchard geleitete bisher größte genetische Studie an Latino-Kindern in den USA.

Reste der alten Reiche sind unverkennbar

Zu den Resultaten gehört die Entdeckung von drei bestimmten genetischen Clustern in verschiedenen Teilen von Mexiko. Unverkennbar sind auch die Reste alter Reiche, die anscheinend entlegene geografische Zonen kreuzen. Die größten Unterschiede fand man zwischen der Bevölkerungsgruppe der Seri, die entlang der nördlichen Küste am Golf von Kalifornien lebt, und die Maya-Nachfahren in der Region Lacandon nahe der Grenze zu Guatemala. Die beiden Gruppen sind genetisch so unterschiedlich wie Europäer und Chinesen.

"Wir waren überrascht, dass sich diese Zusammensetzung auch in Menschen gemischter Abstammung aus kosmopolitischen Gebieten widerspiegelt", erklärte Andres Moreno-Estrada: "Versteckt zwischen europäischen und afrikanischen Herkunftsblöcken ähnelt die indigene genetische Karte einer Landkarte von Mexiko."