Ein Runder Tisch soll in der Ukraine die Eskalation stoppen.
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Wien/Moskau/Kiew/Brüssel. Die Ukraine steht vor der nächsten Belastungsprobe. Nach dem umstrittenen, von den prorussischen Separatisten in der Ostukraine durchgeführten Referendum, ging es am Montag Schlag auf Schlag: Die prorussischen Kräfte in den Industrieregionen Luhansk und Donezk nahe der russischen Grenze erwägen nach dem Beispiel der Krim einen Anschluss an Russland. In Donezk sprach sich der führende Separatist Roman Liagin dafür aus: Er wäre "wahrscheinlich ein angemessener Schritt" nach dem Referendum vom Sonntag. Bei dem haben sich - freilich laut Informationen der Separatisten - 89 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung für die Unabhängigkeit der selbsterklärten "Volksrepublik Donezk" von Kiew ausgesprochen. 75 Prozent haben teilgenommen, teilten die prorussischen Kräfte mit. Die Zahlen konnte freilich niemand überprüfen. Unabhängige Wahlbeobachter gab es nicht.
In dem Gebiet Luhansk war die Situation ähnlich. Die Region hat die UNO gebeten, ihre Unabhängigkeit anzuerkennen. Zudem hat sich das Gebiet Luhansk entschlossen, an der ukrainischen Präsidentschaftswahl, die am 25. Mai stattfinden soll, nicht teilzunehmen. Ein Referendum über einen Anschluss an Russland wird auch hier erwogen. Bei der Abstimmung im Gebiet Lugansk sollen fast 96 Prozent für eine Unabhängigkeit von Kiew gestimmt, die Beteiligung wurde mit 81 Prozent angegeben. Die Regierung in Kiew erkennt die Ergebnisse nicht an und spricht von einem kriminellen Vorgehen. Anders der Kreml: Er teilte am Montag mit, den Wunsch der Menschen in Donezk und Luhansk "zu respektieren". Eine Anerkennung der Referenden durch Moskau ist aus diesen Worten allerdings nicht herauszulesen.
Ischinger soll verhandeln
Indessen wird unter hohem Zeitdruck versucht, mittels Gesprächen einen Weg aus der Ukraine-Krise zu finden: Der deutsche Spitzendiplomat Wolfgang Ischinger soll einen Dialog zwischen den verschiedenen Gruppierungen in der Ukraine moderieren. Am Mittwoch will der 68-jährige Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz im Auftrag der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Regierung und Separatisten an einen Tisch bringen.
Ischinger ist international als erfahrener Verhandler bekannt - er arbeitete gemeinsam mit dem US-Diplomaten 1995 das Abkommen von Dayton mit aus, das den Balkan-Krieg beendete. Der gebürtige Schwabe hat auch genug Russland-Erfahrung: Unter seiner Mitwirkung gelang es, zur Beilegung der internationalen Krise im Zuge des Kosovo-Kriegs 1999 Moskau mit ins Boot zu holen. Im heurigen März, inmitten der Krim-Krise, forderte der ehemalige Mitarbeiter von Deutschlands Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der Westen dürfe nicht nur Sanktionen verhängen, sondern müsse "den Russen auch einen Weg zeigen, wie sie aus ihrer Schmoll- und Trotzecke wieder herauskommen können".
Ob die prorussischen Aktivisten mit am Runden Tisch sitzen werden, ist aber noch nicht klar. Die Regierung in Kiew äußerte ihre Bedenken gegen einen Dialog mit den Separatisten. Die OSZE möchte möglichst alle Parteien einbinden. Ihr Vorsitzender Didier Burkhalter forderte in seinem Vier-Punkte-Plan eine Waffenruhe, die Entwaffnung der Separatisten, Aufnahme eines nationalen Dialogs sowie die Abhaltung der Präsidentschaftswahlen. Moskau begrüßte die Vermittlungsbemühungen der OSZE.
Die EU reagierte auf die Ausweitung der Krise in der Ostukraine mit einer Ausweitung ihrer Sanktionen - allerdings in äußerst begrenztem Rahmen: Die EU-Außenminister beschlossen bei ihrem Treffen am Montag, zwei Unternehmen auf der Krim, die von Russland verstaatlicht wurden, auf eine schwarze Liste zu setzen. Außerdem wurden gegen 13 Personen Einreiseverbote und Kontosperren verhängt.
Von ernsthaften Wirtschaftssanktionen, die Russland, aber auch Europa wehtun würden, ist man aber noch weit entfernt. Die EU zeigt sich in ihrer Russland-Politik alles andere als einig: Während etwa der britische Außenminister William Hague die "Bereitschaft zu Wirtschaftssanktionen" fordert, hält Frankreich an einem milliardenschweren Rüstungsdeal mit Russland fest: Die Hubschrauberträger vom Typ Mistral im Wert von 1,2 Milliarden Euro würden wie vereinbart geliefert, sagten französische Diplomaten gestern. Ein Stopp des Projekts würde Frankreich mehr schaden als Russland.
Österreich bremst Sanktionen
Österreich gehört, das wurde spätestens mit dem South-Stream-Gaspipeline-Deal mit Russland klar, innerhalb der EU zu den Bremsern bei Maßnahmen gegen Russland. "Wir können nicht auf jede Provokation mit neuen Sanktionen reagieren. Sonst hätten wir jetzt Krieg", meinte Österreichs Außenminister Sebastian Kurz in Brüssel. Der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Russland, Dietmar Fellner, nahm ebenfalls gegen weitere Sanktionen Stellung. "Wer heute von neuen Sanktionen gegen Russland redet, der hat den Sinn für Realität verloren", sagte Fellner bei einem Gespräch mit Journalisten in Wien. "Man redet ständig von einer dritten Stufe der Sanktionen, sagt aber nicht, was darunter zu verstehen ist. Sollen wir etwa kein Gas oder Öl mehr aus Russland beziehen? Keine Maschinen mehr dorthin liefern?", ärgerte sich Fellner - und wies darauf hin, dass Österreich der zehntgrößte Auslandsinvestor in Russland ist. Für das heurige Jahr erwartet Fellner allerdings einen deutlichen Rückschlag.
Dass Russland sich im Bedarfsfall auch nach Asien umorientiert und Europa aufgibt, glaubt Fellner nicht. Aus Moskau kam am Montag allerdings eine für Europa möglicherweise unerfreuliche Nachricht: Der stellvertretende Energieminister Anatoli Janowski ließ verlauten, dass ein Gas-Vertrag mit China "zu 98 Prozent fertig" sei. Die Verhandlungen hatten sich über Jahrzehnte hingezogen.