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Die vielleicht verrückteste WM aller Zeiten

Von Christoph Rella

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Die erste Runde der WM in Russland hat einige interessante Ergebnisse gebracht. Vor allem die Favoriten ließen nahezu kollektiv aus.


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Da waren es nur noch zwei. Es war doch ein ungewöhnliches Bild, das die Gruppentabellen nach Abschluss der ersten 16 Vorrundenspiele bei dieser WM abgaben. Von den bei Wettanbietern zu den Top Acht der potenziellen Titelanwärter gezählten Fußballnationen schafften gleich zum Auftakt nur zwei den Sprung an die Gruppenspitze. Und selbst das nur mit viel Mühe, wie etwa die Partie Frankreichs gegen Australien, wo die Équipe Tricolore letztlich auch nur dank eines abgefälschten Tores gewann (2:1), zeigte. Das 3:0 der Belgier gegen Panama, den wohl größten Underdog, zählt da nicht.

Und die übrigen Favoriten? Die taten sich allesamt schwer. Brasilien kam gegen die körperbetont spielenden Schweizer ebenso nicht über ein 1:1-Remis hinaus wie Argentinien gegen WM-Debütant Island. Ein Resultat, das übrigens beinahe auch den Engländern (gegen Tunesien) hätte blühen können, hätten nicht die Afrikaner in der Nachspielzeit ein Tor zugelassen und das Resultat zugunsten der Three Lions geschönt. Nicht mehr zu schönen war in jedem Fall die 0:1-Pleite des Weltmeisters gegen laufstarke und frech spielende Mexikaner. Wenn Deutschland so behäbig weiterspielt, werden wohl viele ihre Wetteinsätze in den Wind schreiben müssen. Wenig überzeugt hat übrigens auch der, wenn man so will, erweiterte Favoritenkreis: Zwar haben Uruguay, Dänemark und Schweden alle ihre ersten Spiele gewonnen, das aber auch nur knapp mit 1:0. Auch dass Kroatien sein 2:0 gegen Nigeria einem Penalty und einem Eigentor verdankt, sollte hier kein Anlass für allzu laut tönende Lobeshymnen sein.

Diese gebühren aus heutiger Sicht nicht nur den Überraschungssiegern Japan und Senegal, die sich - im Unterschied zum Iran, der nur dank eines Eigentors der Marokkaner in der 95. Minute drei Punkte einfuhr - verdient gegen Kolumbien und Polen durchsetzten, sondern auch Spanien und Portugal. Was das Duo bei seiner Begegnung am Freitag zeigte, war Fußball vom Feinsten und einer WM mehr als würdig. Von den Treffern angefangen über die Taktik bis hin zur tollen Fankulisse. Aber auch hier gilt: Gegessen ist - zumindest für den Europameister - noch nichts. Zu sehr ähnelte dann doch das 1:0 der Portugiesen am Mittwoch über Marokko dem, was diese WM bisher zu bieten hatte.

Das einzige Team, das bisher völlig aus der Reihe getanzt ist, ist freilich Gastgeber Russland. Auf den ersten Blick mögen ja die Kantersiege der Sbornaja (5:0, 3:1) Hoffnungen wecken, allerdings lässt sich auch diese Leistung relativieren, wenn man die mehr als magere Qualität Saudi-Arabiens und das Handicap Ägyptens, ohne einen 100 Prozent fitten Mo Salah antreten zu müssen, in Betracht zieht. Natürlich wäre es dem russischen Team zu wünschen, möglichst weit in die K.o.-Phase vorzustoßen, wirklich realistisch ist das aber nicht. Dasselbe gilt wohl auch für die meisten Mannschaften, die in den Gruppen vorläufig den Spitzenplatz belegt haben. Sie könnten es nämlich im Achtelfinale mit dem einen oder anderen, dann zweitplatzierten Favoriten zu tun bekommen. Einen lauteren Weckruf als eine verpatzte Vorrunde kann es für einen Titelanwärter nicht geben. Ihn zu überhören wäre daher fatal.

Wenn doch, wird das vielleicht noch die verrückteste WM aller Zeiten.