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Die vielseitige Natur von David Petraeus

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Die Strategie des US-Generals ist eine Mischung aus Schießen und Verhandeln. Er verfolgte sie im Irak ebenso wie jetzt in Afghanistan.


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David Petraeus macht offenbar gerade einen strategischen Schwenk: Der US-General ergänzt seine ursprüngliche Aufgabe als Militärkommandant in Afghanistan um die Rolle des kriegsführenden Politikers, die er auch im Irak gespielt hat, wo es ihm gelungen ist, die politischen und militärischen Kräfte zu vereinen.

Petraeus ist ein Vertreter der Idee, dass Kriege in Stammesgesellschaften eine Mischung aus Schießen und Verhandeln sein müssen. Im Irak bekämpfte er die sunnitischen und schiitischen Aufständischen, öffnete aber gleichzeitig neue Wege für sie, mit der US-gestützten Regierung eine Einigung zu finden.

Nun, nach seinen ersten vier Monaten als Chef der Nato-Truppen in Afghanistan, geht er auch hier zu dieser dualen Vorgehensweise über. Einerseits wird mehr geschossen, es gibt verstärkte Spezialeinsätze und Bombenangriffe auf Taliban-Führer. Andererseits werden mehr Gespräche geführt und die Aussöhnungsverhandlungen von Präsident Hamid Karzai mit Taliban-Repräsentanten unterstützt. Als vertrauensbildende Maßnahme wird auch für die Sicherheit der Teilnehmer gesorgt.

Das alles ist ganz nach Petraeus Drehbuch. Mit ihm am politisch-militärischen Lenkrad könnten die unterschiedlichen Taliban-Gruppen zu einer politischen Einigung bewegt werden. Die diplomatische Seite ist allerdings darauf angewiesen, dass Petraeus es schafft, die Widerspenstigen mit Waffengewalt unter Kontrolle zu halten. Daher übt er auch so viel Druck auf Pakistan aus, gegen das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, das sich im Nordwesten Pakistans verschanzt hält, und gegen die Quetta-Shura-Taliban in Baluchistan im Südwesten.

Während Petraeus seine Verhandeln-Schießen-Offensive vorantreibt, ist wenig von der Abwehrstrategie gegen die Aufständischen zu hören, die angeblich sein großer Beitrag zur Militärdoktrin ist. Petraeus hatte 2006 tatsächlich an der Herausarbeitung dieser Vorgehensweise mitgewirkt. Es handelt sich hier aber mehr um eine grundsätzliche Sichtweise, nicht um eine ausgeklügelte Strategie, wie diejenige, die Petraeus im Moment einsetzt.

Schutz der Bevölkerung - nehmen Sie als Beispiel dieses zentrale Gebot des Abwehrkampfs gegen Aufständische. Petraeus setzt in den Provinzen Kandahar und Helmand die bevölkerungszentrierte Vorgehensweise nach wie vor ein, wenn auch erfahrene Militärs sagen, dass der Erfolg bisher gering war. Hauptsächlich ist der Einsatz in der Praxis aber "feindzentriert" und besteht aus stufenweise gesteigerten Aktionen, Taliban-Führer zu fassen oder zu töten, während gleichzeitig Karzais Versuche unterstützt werden, ein politisches Abkommen mit ihnen zustande zu bringen.

Diese Mischung spiegelt Petraeus vielseitige Natur wider. Seine größte Herausforderung bleibt jedoch der Kampf gegen die Uhr. Sein Unbehagen über den Zeitplan von Präsident Barack Obama, mit dem Abzug der US-Truppen im Juli 2011 zu beginnen, war von Anfang an offensichtlich.

Dabei ist es nicht der geplante Abzug selbst, der Petraeus Sorgen macht, sondern das Bild, das dieser Plan den Taliban implizit übermittelt. Die gesamte politisch-militärische Strategie könnte zunichte gemacht werden - welcher Feind aus Stammestradition verhandelt ernsthaft mit einem Gegner mit fixiertem Abzugstermin, selbst wenn es eine Supermacht ist?

Petraeus weiß sich aber zu helfen. Er will die Nato bei ihrem Gipfeltreffen in Lissabon dazu bringen, sich Karzais 2014-Zeitplan zuzuwenden.

Übersetzung: Redaktion Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post". Originalfassung