Inzko: Abspaltung eines Landesteils wäre für Milosevic posthumer Triumph. | EU soll Bosnien Beitrittsperspektive anbieten. | "Wiener Zeitung": Der bosnisch-serbische Premier hat eine Volksabstimmung gegen das Amt des internationalen Bosnien-Beauftragten angekündigt. Wird es ein Anti-Inzko-Referendum geben? | Valentin Inzko: Es gibt ein neues Referendumsgesetz, aber wir sind sicher, dass es zu dieser Volksabstimmung nicht kommen wird. Außerdem wäre sie ungültig. | Drohung mit der Abspaltung - ein gefährliches Spiel
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Dennoch kommen aus der Republika Srpska immer wieder Drohungen zur Abspaltung dieser Landeshälfte.
Diese Rhetorik ist im Moment nicht gut. Sie ist bedingt durch die Wahlen, die im Herbst anstehen. Sie hat aber auch tiefere Ursachen. Jedenfalls wird die internationale Gemeinschaft auch kein Referendum über die Souveränität, eine Unabhängigkeit der Republika Srpska zulassen.
Warum sollte die Republika Srpska nicht das versuchen, was der Kosovo mit seiner Unabhängigkeitserklärung getan hat?
Das wäre ein posthumer Triumph für Slobodan Milosevic (den ehemaligen serbischen Präsidenten, Anm.). Das hätte man schon 1991, 1992 haben können, doch das ist blutig zu Ende gegangen. Jeder weiß, dass ein friedliches Auseinandergehen 15 oder 18 Jahre später nicht möglich ist, sondern die gleichen Folgen wie damals hätte.
Was kann die EU tun? Immerhin strebt Bosnien dorthin.
Die EU kann eine konkrete Beitrittsperspektive anbieten. Das hat ja auch bei anderen Ländern gewirkt, ob bei Estland, Ungarn oder nun Kroatien. Doch wir wollen nicht einzelne Staaten an die EU heranführen, sondern die ganze Region, wobei aber jedes Land nach seinen Verdiensten beurteilt wird.
Ist da nicht Ihr Amt ein Hindernis für Bosnien-Herzegowina? Darf das Land überhaupt einen EU-Beitrittsantrag stellen, solange es einen internationalen Beauftragten gibt?
Das war die Politik des ehemaligen EU-Erweiterungskommissars Olli Rehn. Der jetzige Kommissar Stefan Füle ist da flexibler. Doch wir arbeiten gleichzeitig an einer Umwandlung - von einer internationalen Präsenz, die von einem Hohen Beauftragten geprägt ist, zu einer Präsenz, die von der EU geprägt ist.
Bosnien wollte das Ansuchen schon heuer stellen. Finden Sie das verfrüht?
Es wäre zwar möglich, doch zu früh. Außerdem wäre überhaupt nicht sicher, ob der Antrag in Erwägung gezogen würde. Es ist besser, ein Ansuchen zu stellen in dem Wissen, dass es bearbeitet wird.
Wäre eine Abschaffung der Visa-Pflicht ein Ansporn für Bosnien?
Absolut. Viele Menschen können nicht unterscheiden zwischen Europarat oder Europäischer Rat; sie können mit den vielen Kapiteln nichts anfangen, die für einen Beitritt wichtig sind. Doch Visa-Freiheit hat eine große Symbolik: Wenn die Bosnier reisen können, wissen sie, sie sind in Europa angekommen.
Erfüllt das Land die Bedingungen dafür?
Ja, es hat 174 Punkte erfüllt, und es geht nur noch um eine Position eines Direktors für Polizeikoordination. Wenn das auch erledigt ist, kann Brüssel eine Entscheidung treffen. Die Visa-Liberalisierung könnte so schon im November oder Dezember kommen. Das wäre ein großes Fest für die Bürger. Aber die Bedingungen müssen stimmen. Wenn Sie jemanden in Ihr Haus einladen, wollen Sie ja auch wissen, wer kommt. So müssen auch die Menschen, die in die EU möchten, sich etwa mit biometrischen Pässen ausweisen, damit die EU-Bürger wissen, wer kommt.
Wie kann das Gesamtgebilde Bosnien-Herzegowina gestärkt werden?
Das Land wird immer ein dezentralisierter Staat bleiben. Doch wir wollen, dass er effizienter wird. Niemand wird dabei seine Identität verlieren, weder die Serben, noch die Kroaten, noch die - muslimischen - Bosniaken. Der Staat muss aber funktionieren. Das tut er noch nicht optimal. Er ist auch viel zu teuer. Es gibt 14 Regierungen, hunderte Abgeordnete, zu viele Minister. Nach dem Krieg war das auch notwendig, jeder Gruppe etwas zu geben.
Wie kann die wirtschaftliche Lage des Landes verbessert werden?
Der Internationale Währungsfonds wird einspringen. Doch muss vor allem die Wirtschaft angekurbelt werden, mit Infrastruktur-Projekten oder dem Bau von Autobahnen. Potenzial gibt es auch in der Landwirtschaft, im Tourismus oder im Energiebereich: Bosnien hat 64 Prozent seiner Wasserkraft noch nicht ausgenützt, obwohl es Strom exportiert. Ich wünsche mir überhaupt, dass mehr über Wirtschaft gesprochen wird denn über Politik oder die Vergangenheit. Wir haben zu viel Geschichte am Balkan, wir könnten sie exportieren. Dann wäre Bosnien ein reiches Land.
Zur Person
Der österreichische Diplomat Valentin Inzko (61) ist Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft für Bosnien-Herzegowina. Sein Mandat als EU-Sondergesandter dort wurde vor kurzem bis August 2011 verlängert.