Bis 2020 soll der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt in der Union auf 20 Prozent gesteigert werden.
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Brüssel/Wien.
Nun muss Europas Industrie ran. "Wir können nicht zulassen, dass unsere Industrie Europa verlässt. Unsere Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Europas Industrie bringt Wachstum und schafft Arbeitsplätze", sagte der Vizepräsident der EU-Industriekommissar Antonio Tajani bei der Vorstellung der EU-Industriestrategie am Mittwoch in Brüssel. Eine neue industrielle Revolution soll Jobs nach Europa zurückbringen, bis 2020 sollen nach den Plänen der EU 20 Prozent des Bruttosozialprodukts in der Union von der Industrie erwirtschaftet werden - derzeit liegt dieser Wert bei 16,5 Prozent.
Das Ziel der Europäischen Union ist einigermaßen ehrgeizig, meint man bei der Industriellenvereinigung: Denn selbst das Industrieland Österreich, das eine Industriequote (ohne Energieproduktion) von 18,7 Prozent aufweist, liegt unter den 20 Prozent-Marke. "Um die aktuelle Haushaltskrise zu bewältigen und global wettbewerbsfähig zu bleiben, brauchen wir eine starke Industrie in Europa", so Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung. Wichtig sei, "dass die Entscheidungsträger gemäß einem neuen Industrie-Mindset auch entsprechende Taten folgen lassen".
Die Wirtschaftsvertreter finden mit vielen ihrer Forderungen Verbündete bei den Gewerkschaften. Denn auch die Arbeitnehmervertreter begrüßen die Ziele des Industriekommissars, warnen aber freilich vor einer "zunehmenden Prekarisierung der Arbeitsbedingungen" und einem Sinken der Lohnniveaus. Die Wirtschaftsvertreter sehen nämlich in den ihrer Meinung nach zu hohen Lohnstückkosten in einigen Ländern eine Ursache für eine mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Industrie in einzelnen EU-Ländern.
Industrie als Krisenmedizin
Die EU-Kommission hat erkannt, dass Länder mit einem hohen Grad an Industrialisierung die Wirtschaftskrise relativ gut überstanden haben. Diese Länder wiesen nämlich relativ bessere Leistungsbilanzen auf. Und Länder mit positiver Leistungsbilanz genießen auf den Finanzmärkten einen höheren Grad an Vertrauen. Um die Wachstumsziele zu erreichen, sind nach Meinung der Wirtschaftsvertreter Verwaltungsreformen - vor allem in den Ost-Erweiterungsländern - notwendig. Eines der Hauptprobleme in diesen Ländern ist der Zugang zu Risiko- und Investitionskapital. In Dänemark und Schweden werden über 0,06 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Risikokapitalinvestitionen eingesetzt, in Deutschland immerhin noch über 0,03 Prozent, Österreich liegt hingegen bei bescheidenen 0,007 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit ungefähr gleichauf mit Portugal und Polen. Um gegenzusteuern soll die Europäische Investitionsbank (EIB) in den kommenden Jahren zwischen 10 und 15 Milliarden Euro für die Finanzierung von Investitionen der europäischen Klein- und Mittelbetriebe bereitstellen.
Die Voraussetzungen für ein Comeback der Industrie in der EU sind gar nicht so schlecht: Einerseits steigen in China die Löhne und Energiekosten, andererseits verfügt der europäische Kontinent über Innovationsführer wie Siemens oder Airbus. 80 Prozent der Exporte der EU und 80 Prozent der privaten Forschungsausgaben kommen von der Industrie.
Ein europäisches Schicksal
Doch obwohl die Unternehmen der EU für eine Vielzahl der Patentanmeldungen verantwortlich sind und Europa bei der Grundlagenforschung an der Weltspitze liegt, hapert es vielfach bei der Vermarktung der Technologien. Beispiel: Die Software-Schlüsseltechnolgie MP3, ohne die der Durchbruch von digitalen Musikplayern nicht gelungen wäre, stammt ursprünglich vom deutschen Fraunhofer-Institut. Eingesetzt wird die Technologie oder Nachfolgetechnologien heute aber in koreanischen Mobiltelefonen der Marke Samsung oder in US-Geräten der Marke Apple.
"Mission Growth"
Industriekommissar Tajani hat in seinem Bericht sechs Industriezweige definiert, in denen Europa in Zukunft noch erfolgreicher sein will: saubere, umweltschonende Produktionstechnologien, Bio-Technologie, Umwelttechnologie, Bauwirtschaft und Rohstoffe, umweltfreundliche Fahrzeuge und Schiffe sowie Smart Grids - also Leitungsnetze der nächsten Generation.
Die Stärkung des Binnenmarktes soll das Wachstumsklima ebenso verbessern wie eine Bildungsinitiative, bei der es einerseits um Spitzenforschung geht, andererseits um eine Verbesserung der Fertigkeiten von Facharbeitern. In letzterem Feld dienen übrigens Länder wie Deutschland oder Österreich als Vorbilder.
Die Vertreter von "Business Europe" - der Lobbygruppe der Unternehmer in Brüssel - haben in der Vergangenheit auch immer wieder die Klimapolitik der EU und die ihrer Meinung nach zu hohen Energiekosten kritisiert. Eine Politik, die freilich die erfolgreichen europäischen Windenergiekonzerne wie Vestas, die EU-Solarbranche und die Wasserkraftwerksanlagenhersteller begünstigt. EU-Industriekommissar Antonio Tajani spricht bei seinem Anliegen von der "Mission Growth", also von einer "Wachstumsmission" - hoffentlich keine "Mission Impossible".