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China, Russland, Brasilien und Indien bestimmen das Marschtempo.
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"Wiener Zeitung": Der Terminus BRIC-Staaten (für Brasilien, Russland, Indien, China) wurde von Goldman-Sachs Ökonom Jim O’Neill 2001 geprägt und war extrem erfolgreich. Aber ist die Klassifizierung immer noch gültig?
Anna Stupnytska: Ursprünglich bezog sich der Terminus auf große Volkswirtschaften, die systemisch wichtig sind und das Potenzial haben, die Weltwirtschaftsordnung zu ändern. Es ging also immer um das Veränderungspotenzial, weniger um die Ähnlichkeiten dieser vier Länder. Diesbezüglich hat sich nichts geändert - auch wenn diese Länder strukturell langsamer wachsen. Gemeinsam mit den USA werden sie 2050 unserer Meinung nach die fünf größten Volkswirtschaften der Welt sein. Die Konsumenten dieser Länder werden noch in dieser Dekade zum wichtigsten Business- und Investmentthema. Wegen der BRIC-Staaten wird die Weltwirtschaft im nächsten Jahrzehnt schneller wachsen, sie leisten den größten Beitrag zum globalen Wachstum.
Vor allem Chinas Wirtschaft muss sich aber künftig fundamental umorientieren. Sehen Sie Anzeichen, wie die neue politische Führung damit umgehen wird?
Wir sehen bereits die Zeichen eines neuen Chinas. Ein neues China heißt eine Wirtschaft, die sich weg bewegt von Exporten und Investitionen als traditionelle Wachstumstreiber in Richtung etwas Nachhaltigerem, nämlich Privatkonsum. Mit der neuen Führungsriege wird sich dieser Prozess beschleunigen. Die Reformen wurden letztes Jahr im Fünf-Jahres-Plan festgelegt und die neuen Machtinhaber haben sich dazu bereits bekannt. Im Fokus stehen die Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens, Innovationen, alternative Energie, Energieeffizienz und Konzentration auf mehrere Sektoren, vor allem auf den Verbrauchersektor. Mit diesen Reformen wird das Wachstum künftig eher ein qualitatives, denn ein quantitatives sein - eher 7 bis 7,5 Prozent statt zweistellig. Unterschiedliche Sektoren werden profitieren, die Veränderungen aber nicht dramatisch sein.
Offen ist, wie schnell die neue Führungsriege die Reformen durchdrücken wird. Ich erwarte aufgrund der politischen Tradition Chinas, dass alles schrittweise und mit möglichst wenig Risiko geht.
Seit zwei Jahrzehnten war China durch und durch auf Wachstum ausgerichtet, von den Provinzen über die Staatsunternehmen. Wird es nicht sehr schwierig, das Konzept um 180 Grad zu wenden?
Das stimmt, vor allem seit der Finanzkrise weiß man, dass das bisherige Modell nicht mehr nachhaltig ist. Es gab dieses riesige Konjunkturpaket, mit dem die Wirtschaft wirklich überstimuliert wurde - das Resultat war ein sehr ineffizienter Einsatz des Kapitals. Die Häuserblase konnte zwar recht erfolgreich abgekühlt werden, und das ist eine beeindruckende Leistung der chinesischen Führung. Die Kreditvergabe abseits der Bankbilanzen ist aber explodiert - die Programme der Provinzregierungen zur Konjunkturankurbelung waren dabei nicht ganz so erfolgreich. So hat man realisiert, dass die Investitionen der öffentlichen Hand in Verbindung mit den Exporten nicht der wesentliche Motor für wirkliches wirtschaftliches Wachstum sein sollten. Es braucht einen anderen Motor, um den erarbeiteten Reichtum und das Einkommensniveau weiter anzuheben.
Es wird nicht einfach werden. Die Führung wird die Reformagenda aber nicht allzu wagemutig angehen, sondern langsam austesten. Wichtig ist, auch anderen Teilen des Fünf-Jahresplanes Aufmerksamkeit zu schenken. In den letzten zehn Jahren wurde nicht viel getan in Bezug auf eine Pensionsreform, ein Sozialversicherungsnetz inklusive sozialer Wohnungsprogramme. Die Reformen im aktuellen Fünf-Jahresplan sind nun auf die Stützung des Wohlstands und die Formung eines sozialen Netzes fokussiert.
Russland hängt noch stark an Rohstoffen - viele Kommentatoren und Investoren sehen das Land weiter kritisch. Mit Recht?
Russland hat schon wichtige Schritte in Richtung wirtschaftlicher Diversifizierung gemacht, diese werden aber kaum realisiert. Positiv ist etwa der gestoppte negative Demografiewandel - die Bevölkerung wächst wieder, die Lebenserwartung steigt. Außerdem bereitet sich Russland bereits auf sinkende Einnahmen aus dem Energiesektor vor: Die Regierung kalkuliert ihr Budget nun nicht mehr mit einem relativ hohen fixierten Ölpreis, sondern mit dem niedrigsten Fünf-Jahres-Durchschnittsölpreis. Dadurch wird ihre Wirtschaftspolitik realistischer. Es stimmt, dass der Rohstoffsektor nach wie vor sehr groß ist, aber es gibt Zeichen, dass Russland davon wegkommen will. Vor allem um die Sektoren Finanz, Technologie und den Konsumgüterbereich bemüht man sich sehr.
Aber Russland versucht doch seit Jahren die Diversifizierung - mit sehr bescheidenem Erfolg. Sehen Sie hier wirklich eine Änderung?
Nun, die Veränderung wird passieren müssen wegen des Ausblicks auf strukturell sinkende Ölpreise. Bei einem Ölpreis in der Spanne von 80 bis 90 Dollar auf mittelfristige Sicht wird eine wirtschaftliche Diversifizierung eine viel größere Notwendigkeit. Zudem muss sich die Rhetorik der Regierung ändern, um ausländische Investoren anzuziehen - wir sehen bereits erste Anzeichen, dass das passiert. Das unsichere Umfeld in den entwickelten Märkten, allen voran der Eurozone, wird auch zu Gedanken über ein neues Wachstumsmodell führen.
Welches der BRIC-Länder wird die beste Performance hinlegen?
Wir verwenden eine Matrix, das "Growth Environment Score", und reihen alle Länder innerhalb bestimmter Wachstumsbedingungen. Sie enthält sechs Kategorien: politische Bedingungen, makroökonomische Stabilität sowie Gesamtbedingungen, Investitionsumfeld, Humankapital und Technologie. Innerhalb der BRIC-Länder rangieren China und Brasilien höher als Russland und Indien. Darüber hinaus erschließt sich, dass Indiens Schwächen breiter gestreut sind als in anderen BRIC. Indien hat Potenzial, aber es muss so viel mehr tun als andere, um das Gleiche zu erreichen.
Was ist mit Europa?
Wenn man das globale Wachstum ansieht, sind unter den Top-10-Beitragsleistern zum globalen Wachstum zwischen 2011 und 2020 nur zwei der G7-Länder: die USA und Großbritannien. Der Rest kommt von den A-Wachstumsmärkten, wie wir sie definieren - die BRIC, Korea, Türkei, Indonesien und Mexiko. Es gibt kein einziges europäisches Land in diesen Top-10 - nur die Eurozone als Gesamtgebiet. Europa muss realisieren, dass es eine Welt außerhalb gibt, die ihm helfen kann, dann wird Europa wieder interessant.
Deutschland hat dies bereits verstanden: Viele deutsche Firmen generieren die Mehrheit ihrer Erträge außerhalb Europas. Andere Länder der Eurozone, darunter Österreich, könnten ihre Wachstumsaussichten ebenfalls durch den Ausbau ihrer Exportsektoren verbessern und so von der starken Binnennachfrage aus den Wachstumsmärkten profitieren.
Zur Person
Anna
Stupnytska
ist Executive Director und Makroökonomin der Vermögensverwaltungsabteilung von Goldman Sachs (GSAM) in London. "Miss BRIC" verfasste gemeinsam mit dem Erfinder des Begriffs und GSAM-Vorsitzenden Jim O’Neill zahlreiche Publikationen über die BRIC- Länder. In Wien sprach sie auf der BRIC-Konferenz der Wirtschaftskammer.