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Friede und Neutralität in einer politischen Schräglage.
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In der Schweiz wird seit mehreren Monaten ernsthaft über die Aufgabe der Neutralität diskutiert angesichts der verheerenden Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine, die keine Neutralität gestatten. Das Muster der österreichischen sei die Schweizer Neutralität, so heißt es. Die Schweizer Diskussion wird allerdings in Österreich nicht rezipiert, ja so gut wie gar nicht beachtet. Sie ist keinen Bericht wert. In den gegenwärtigen innenpolitischen Aufregungen wurde die hauseigene Diskussion, kaum begonnen, durch ein Kanzlerwort erstickt.
Vermieden, verdrängt, vergessen werden die ausführlichen Debatten über Neutralitätsrecht und -politik, etwa in den Jahren 1955 bis 1975, die damaligen Publikationen werden nicht gelesen. Keine der heute gestellten Fragen oder der heute verwendeten Argumente sind aber neu, alle rechtlichen und politischen Fragen wurden damals schon erwogen. Die Medien fragen auch keinen Professor für Völkerrecht oder keinen außenpolitischen Experten; sogar Zeitzeugen würden noch leben. Sie fordern keine Expertise an zur Geschichte der österreichischen Neutralität, zur Geschichte der österreichischen Neutralitätsdiskussion, zur Entwicklung des Rechtsinstitutes Neutralität, zu internationalen Vergleichen.
Experten schweigen ebenso wie Politiker
Die allgemeine Friedensfunktion der Neutralität und die besondere Funktion der österreichischen Neutralität im Kampf um den Staatsvertrag, um Freiheit und Unabhängigkeit bleiben unberücksichtigt. Die Experten melden sich ebenfalls nicht zu Wort - wie sonst aber üblich. In gleicher Weise wird die (medial stets bevorzugt beachtete deutsche) Diskussion über Frieden, Waffenlieferungen und anderes in die österreichische Diskussion nicht übernommen. Die Politologen insgesamt, die friedensbewegten Experten von früher melden sich nicht zu Wort. Die Politiker schweigen. Und bedeutet Schweigen nicht doch Zustimmung zu Aggression, Gewalt, Krieg?
Ein fataler Vorwurf! Er soll nicht erhoben werden gegen uns, die wir vor 1938 als Österreicher geboren, ab 1938 Deutsche waren, ab 1945 zu Österreichern transformiert wurden, bis 1955 unter politischer Besatzung lebten, die europäische Einigung ersehnten und vorantreiben wollen, die daher immer wieder ihre Identitätsfragen stellen werden. Die Österreicher haben spät die österreichische Nation akzeptiert, haben aber Friedfertigkeit aus der Geschichte gelernt, nämlich durch eine fortschreitende, sich stets erweiternde Demokratisierung. Demokratie ist untrennbar, als Ziel, als Voraussetzung und als Sicherung, mit Frieden verbunden. Die Teilnahme an der politischen Beratung in einer Gesellschaft und an den politischen Entscheidungen gewährleistet allein auf Dauer die friedliche Entwicklung des Gemeinwesens. Friede ist die Mutter aller Dinge.
Friede ist staatlich geordnete Harmonie
Gegenstand und Ziel der staatlichen Politik ist Friedensstiftung und -erhaltung (Zitat Dolf Sternberger) - nicht nur in einem engeren politischen Sinn, sondern auch als die Raison d’etre des Staates überhaupt, also in einem prinzipiellen Sinn. Die Sicherung des inneren und äußeren Friedens und die gelingende gesellschaftliche Kohäsion rechtfertigen allein alle staatliche Tätigkeit. Pax est ordinata concordia - Friede ist staatlich geordnete Harmonie, stellte schon Augustinus fest.
1984 erschien ein "Schönheitsmanifest" von Jörg Mauthe und Günther Nenning. Hätten sie heute nicht eher ein "Friedensmanifest" geschrieben und "vermehrt Frieden" statt "vermehrt Schönes" eingefordert? Hätten sie gefordert, Versöhnungsstätten zu schaffen, eine neue Friedensbewegung zu bilden, die wie Ärzte ohne Grenzen Versöhnung über Grenzen hinweg non-gouvernmental betreibt? "Die Waffen nieder" reicht nicht, die Maßnahmen der Versöhnung sind zu erarbeiten und zu üben, üben, üben. Das Paradox ist zu brechen, dass alle zwar die vielen sinnvollen rechtlichen Verträge, Konventionen und Regierungsbeschlüsse, Krieg als Mittel der Politik zu verpönen und endlich aufzugeben, beklatschen, aber nicht einhalten.