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Die Wahl als Stresstest für die US-Demokratie

Politik
Radikal und bewaffnet: "Proud Boys" bei ihrem Aufmarsch in Portland.
© reuters/Jim Urquhart

US-Präsident Donald Trump hat sich zwar von seinem Aufruf an die rechtsradikalen "Proud Boys" distanziert.Doch der Geist ist aus der Flasche. Bei der Präsidentenwahl werden Einschüchterungen von Wählern befürchtet.


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Er ist doch wieder zurückgerudert. US-Präsident Donald Trump hat seinen scharf kritisierten Aufruf an eine rechtsradikale Gruppe, sich "bereit zu halten", wieder relativiert. "Sie müssen sich zurückziehen und die Polizei ihre Arbeit machen lassen", sagte Trump nun. Zugleich beteuerte der Präsident, er kenne die Gruppierung "Proud Boys" nicht, die er beim Fernsehduell mit seinem Kontrahenten Joe Biden noch direkt angesprochen hatte. Gleich darauf war Trump beim Gespräch mit Journalisten aber wieder bei der Antifa, die das "wahre Problem" sei.

Die TV-Debatte hat nun jedenfalls den Bekanntheitsgrad der "Proud Boys" in die Höhe schnellen lassen. Es handelt sich dabei um eine Gruppe mit mehreren hundert Mitgliedern, die sich selbst als reiner Männerverein und "westliche Chauvinisten" bezeichnen. Ihr Anführer, Enrique Tarrio, ein Exil-Kubaner, betont, dass jeder der Gruppe angehören könne, der Amerika liebe. Verhasst sind den "Proud Boys" Moslems, emanzipierte Frauen, Linke und Anti-Rassismus-Aktivisten. Sie tauchen in Lokalen auf, so geschehen in New York, um Linke zu verprügeln; sie tauchen bei "Black Lives Matter"-Protesten auf, so geschehen in Portland, um sich gewaltsame Auseinandersetzungen zu liefern oder schwer bewaffnet als Warnung an alle Gegner aufzumarschieren.

Derartige Vereinigungen sehen in Trump einen Helden. Und der US-Präsident selbst kokettiert immer wieder mit derartigen Rechtsaußen-Gruppierungen, die Teil seiner Kernwählerschaft sind.

Auch wenn sich Trump nun distanziert hat - der Geist ist aus der Flasche, und es herrschen Sorge bis Furcht, wie diese Gruppen agieren werden. Zumal das Staatsoberhaupt selbst - ein einmaliger Vorgang in der jüngeren US-Geschichte - die Rechtmäßigkeit der Wahl ständig in Zweifel zieht.

"Das wird ein Betrug, wie wir ihn noch nie gesehen haben", behauptete er auch bei der TV-Debatte mit Blick auf die Briefwahl. Und erneut forderte er seine Anhänger auf, das Votum genau zu beobachten, und untergrub das Vertrauen in die Institutionen.

Derartige Aufrufe würden, wenn sie in anderen Ländern fallen, internationale Besorgnis hervorrufen, meint Nina Jankowicz vom Wilson Center, einem Forschungszentrum in Washington. Und sie würden "Gewalt und Einschüchterung" geradezu heraufbeschwören, sagt sie der Nachrichtenagentur Reuters.

Bundesstaaten verweisenauf ihre Gesetze

Auch demokratische Politiker haben davor gewarnt, dass rechtsradikale Milizen in von Minderheiten bewohnten Vierteln, in denen ihre Partei viel Zuspruch hat, auftauchen könnten, um Wähler einzuschüchtern.

Mittlerweile sehen sich immer mehr Gouverneure von Bundesstaaten gezwungen, auf entsprechende Gesetze zu verweisen. So ist in den meisten Bundesstaaten klar geregelt, wer sich wie als Wahlbeobachter registrieren lassen kann. Zudem gibt es vielerorts Vorschriften, dass sich nicht zu viele Personen in einem Wahllokal aufhalten dürfen, weil sich eben sonst die Wähler unsicher fühlen könnten. Auch Generalbundesanwälte haben schon wissen lassen, dass sie ein genaues Auge darauf werfen werden, ob Wähler an der Stimmabgabe gehindert werden.

Doch auch nachdem alle Stimmen abgegeben worden sind, wird diese Wahl ein besonderer Stresstest für die US-Demokratie bleiben. Aufgrund der Briefwahl und all der anderen Komplikationen, die ein Votum inmitten der Corona-Pandemie mit sich bringt, wird es diesmal wesentlich länger als sonst dauern, bis ein Ergebnis vorliegt.

Dies öffnet Tür und Tor für Betrugsvorwürfe, Verschwörungstheorien und auch juristische Streitigkeiten - so soll Trump bereits eine ganze Armada an Anwälten engagiert haben. Aber auch das Biden-Lager könnte vor Gericht ziehen.

Je knapper der Ausgang, desto gespannter die Lage

Hier kommt nun zum Tragen, dass die US-Verfassung äußerst dehnbar ist und viel Spielraum offen lässt. Darüber hinaus hat jeder Bundesstaat wieder sein eigenes Wahlrecht.

Je knapper der Wahlausgang ist und je länger sich die Verkündigung eines Endergebnisses hinzieht, desto angespannter wird die Lage sein. Zumal Präsident Trump nicht einmal eingeräumt hat, dass er eine Niederlage akzeptieren will.

Aber nicht nur die Anhänger Trumps könnten revoltieren. Die "Black Lives Matter"-Proteste haben auch gezeigt, wie viel Zorn bei Menschen herrscht, die sich im US-System als Bürger zweiter Klasse sehen. Wenn sich nun diese Bürger - die keine Trump-Anhänger sind - von den Republikanern, etwa wegen Verfahrentricks, um ihre Wahl betrogen sehen, könnte dies auch zu heftigen Protesten führen. Zumal sich auch unter die "Black Lives Matter"-Demonstranten linksradikale Gruppierungen gemischt haben, die den Staat ablehnen und diesen durch möglichst viel Chaos zum Explodieren bringen wollen.

Die USA sind polarisiert wie schon lange nicht mehr. Die Corona-Pandemie, die schon für mehr als 200.000 Tote gesorgt und noch mehr Existenzen wirtschaftlich ruiniert hat, trägt das Ihre zur angespannten Stimmung bei. 400 Millionen Schusswaffen sind in dem Land im Umlauf. Wie die Wahl tatsächlich ablaufen wird, kann keiner sagen, aber die Vorboten sind bedrohlich.(klh)