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Die Wahl der Wahl

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Die ÖVP ist eher für ein Mehrheitswahlrecht, die SPÖ eher für ein repräsentatives System, wie wir es derzeit haben. Das Wort "eher" dient als Krücke, denn in beiden Parteien gibt es auch Befürworter des jeweils anderen Systems.

Das Mehrheitswahlrecht gewinnt in Österreich Anhänger, weil es die stärkste Partei aufwerten würde - und einen Ausweg aus der zunehmend unbeliebten großen Koalition bieten könnte. Genau daran hapert die Diskussion auch. Es geht um Auswege, nicht um eine Weiterentwicklung der Demokratie.

Die sollte nämlich anders ausschauen und etwa eine Vereinheitlichung der neun Wahlrechtsgesetze in Österreich bringen. In Niederösterreich führte die Wahlberechtigung von Zweitwohnbesitzern zu einer wahren Flut an Meldezetteln. An der Adresse von so manchem politischen Funktionär waren plötzliche dutzende Menschen wohnhaft - und verhalfen ihm zu einem Mandat.

Wien wiederum verweigert hunderttausenden hier tatsächlich Wohnenden das Wahlrecht, weil es Stadt und Land gleichermaßen ist. Viele Bürger leben also seit Jahren hier und dürfen auch Kommunalabgaben bezahlen - aber wählen dürfen sie nicht.

Und so findet sich in wohl jedem Bundesland die eine oder andere Unsinnigkeit, die demokratisch nur schwer verständlich ist.

Die Forderung nach einer Vereinheitlichung der neun Wahlgesetze wird in neun Landtagen zu einem Aufschrei führen. Was freilich nichts daran ändert, dass es unverständlich ist, warum Bürger in Essling (gehört zu Wien) anders behandelt werden als in Großenzersdorf (Niederösterreich), obwohl beide nur ein Kreisverkehr trennt.

Und wer ein Mehrheitswahlrecht befürwortet, sollte nach Großbritannien blicken. Dort wird kommende Woche gewählt, und die Chance, dass trotzdem keine Partei die Mehrheit im britischen Unterhaus schafft, ist eklatant hoch. Schon jetzt musste eine Koalition aus Konservativen und Liberaldemokraten für eine Mehrheit sorgen.

Bevor also die 70-jährige Zweite Republik darangeht, am Wahlrecht herumzudoktern, sollte sie Für und Wider sorgsam abwägen. Und in der Zwischenzeit dafür sorgen, dass nicht zu argumentierende Unterschiede in den Bundesländern beseitigt werden. Das würde das die Demokratie gefährdende Gefühl, dass "die da oben es sich eh richten", deutlich reduzieren.