19 Kandidaten für Präsidentenamt in Karibikstaat Haiti. | Zweiter Wahlgang wahrscheinlich. | Port-au-Prince/Wien. Wer sich in Haiti als Anhänger eines Präsidentschaftskandidaten deklariert, riskiert sein Leben. Das ist nicht neu, gewalttätige Zusammenstöße im Wahlkampf gehören zur schlechten Tradition des Karibikstaates. Auch vor dem Urnengang am Sonntag starben Menschen, ob zwei oder drei oder mehr, weiß niemand so genau.
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In jedem Fall ist ihre Zahl verschwindend klein gegenüber den mindestens 1600 Toten, die die Cholera bisher gefordert hat. Und "die Epidemie hat ihren Höhepunkt noch lange nicht erreicht", fürchtet die UNO: Ohne stärkeren Einsatz der internationalen Gemeinschaft könnten bis zu 400.000 Menschen erkranken. Bisher war die UNO von 200.000 Gefährdeten ausgegangen.
Die angesprochene internationale Gemeinschaft hatte indessen schon große Hilfe versprochen, nachdem bei dem Erdbeben Anfang des Jahres mehr als 250.000 Haitianer ums Leben gekommen waren. Eine Geberkonferenz hatte 10 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau zugesagt. Bei der Bevölkerung angekommen ist davon allerdings recht wenig. Nach wie vor liegen ganze Stadtteile in Trümmern, ein großer Teil der Bevölkerung lebt in Zeltstädten unter jenen schrecklichen hygienischen Bedingungen, die die Ausbreitung der Cholera fördern.
Aufbau muss warten
Dass die von den Weltbank gehüteten Aufbaugelder nur sehr spärlich verwendet werden, liegt daran, dass nicht nur die Bevölkerung, sondern auch das Ausland jedes Vertrauen in den regierenden Präsidenten René Préval verloren hat. Schon nach dem verheerenden Beben dauerte es Tage, bis er sich der Öffentlichkeit zeigte, und auch seither ist er vor allem durch Untätigkeit aufgefallen. Stagnation, Intransparenz, Korruption, Gewalt und Chaos haben schon vor dem Beben, den Hurrikans und der Epidemie, die Haiti heuer trafen, existiert, die Katastrophen scheinen diese Missstände aber nur noch weiter gefördert zu haben. Die internationalen Gelder werden erst fließen, wenn über ihre Verwendung ein neuer, demokratisch legitimierter Präsident maßgeblich bestimmt.
Préval wird dies nicht mehr sein, er darf nach zwei Amtszeiten (1996 bis 2001 und 2006 bis 2011) nicht mehr antreten. Er hat sich den 48-jährigen Jude Célestin als Nachfolger ausgesucht. Dieser verfügt über die meisten Geldmittel im Wahlkampf. Bisher war er für den staatlichen Straßenbau zuständig - kein Ruhmesblatt, wenn man die vielen Schlaglöcher sieht.
70-Jährige favorisiert
Während das von Préval dominierte Bündnis Inité (kreolisch für Unité - Einheit) bei den gleichfalls am Sonntag stattfindenen Parlamentswahlen die Mehrheit erringen dürfte, gilt dies für seinen Präsidentschaftskandidaten nicht. Die Umfragen, an deren Zuverlässigkeit allerdings zu zweifeln ist, sehen vielmehr die 70-jährige Kandidatin Mirlande Manigat, Frau des früheren Präsidenten Leslie Manigat, mit 36 Prozent voran. Erst an zweiter Stelle unter den 19 Kandidaten liegt Célestin, der es auf 21 Prozent bringen würde, gefolgt von dem populären Musiker Michel Martelly und dem Unternehmer Charles Baker.
Auch die 70-jährige Universitätsprofessorin Manigat würde es also laut Prognosen im ersten Anlauf nicht schaffen. Eine Stichwahl ist für den 16. Jänner vorgesehen. Die Ergebnisse der ersten Wahlrunde werden für den 7. Dezember erwartet.
An Interesse für die Wahlen mangelt es nicht. Jeden Tag stellen sich Menschen, deren Dokumente bei dem Erdbeben verschüttet wurden, zu tausenden bei den Polizeirevieren an, um einen provisorischen Ausweis zu ergattern und so wahlberechtigt zu sein. Viele denken dabei wohl an einen Denkzettel für Préval und seinen Adlatus, aber auch für die UNO-Truppen, die seit der Beben-Katastrophe mit fast 12.000 Mann und 1200 zivilen Mitarbeitern auf der Insel präsent sind.
Diese werden von vielen nicht nur als Besatzungstruppe empfunden, sie werden auch für den Ausbruch der Cholera verantwortlich gemacht. Nepalesische Blauhelme sollen die Durchfallerkrankung, die ohne Behandlung rasch zum Tod führt, eingeschleppt haben. Der Chef der UN-Mission, der Guatemalteke Edmond Mulet, sprach nun allerdings davon, dass Stichproben-Untersuchungen keinen Beleg für diese These erbracht haben.
Nieder mit der Minustah
Die UNO und das Préval-Lager vermuten hinter den Unruhen, die sich gegen die Blauhelme gerichtet haben, die Anhänger des ehemaligen Präsidenten Jean Bertrand Aristide. Dieser war nach Unruhen 2004 durch eine internationale Intervention zum Rücktritt und zum Verlassen des Landes gezwungen worden. Dem Sturz Aristides folgte schließlich der Einsatz der UN-Stabilisierungsmission in Haiti (Minustah), die nach dem Erdbeben nur verstärkt wurde. "Nieder mit der Minustah", deklamierten nun die Demonstranten. Bei ihren Protesten wurden vor zwei Wochen fünf Menschen getötet. UNO-Mann Mulet vermutetet politisches Kalkül: "Einige Gruppen wollen nicht, dass die Wahlen stattfinden. Sie wollen, dass sie verschoben werden oder niemals abgehalten werden", sagte er. Von den aussichtsreichsten Kandidaten hat sich allerdings niemand für eine Verschiebung ausgesprochen, dieser Rat kam nur von Außenseitern. Auch die UNO versprach sichere Wahlen.
Aber nicht nur bei Aristide-Anhängern haben die Blauhelme einen schlechten Ruf. Zu groß ist die Enttäuschung der Wähler, dass sich in dem ärmsten Land der westlichen Welt nichts zum Besseren wendet - trotz der großen Versprechungen nach der Katastrophe.