Brüssels Blick auf Schwarz-Blau - hochrangige EU-Politiker hoffen auf Kurz.
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Brüssel/Wien. Pierre Moscovici war vor bald 18 Jahren für kurze Zeit ein bekannterer Mann, als er heute ist. Und das, obwohl er damals nur Europaminister in Frankreich war und heute als Wirtschafts- und Finanzkommissar der EU als einer der einflussreichsten Europapolitiker gilt. Doch im Jahr 2000 war der Sozialdemokrat einer der überzeugtesten Befürworter der bilateralen Sanktionen der 14 EU-Staaten gegen das Österreich, das 15. von damals noch 15 Mitgliedern wegen der Regierungsbeteiligung der FPÖ.
Einer neuerlichen Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen sieht Moscovici immer noch mit kaum verhohlener Ablehnung entgegen, wie er ganz offen am Donnerstag in Brüssel vor österreichischen Journalisten erklärte. Doch von der damaligen Aufregung ist heute keine Spur mehr. "Vielleicht ist ja die FPÖ heute nicht mehr die gleiche Partei wie im Jahr 2000", formulierte der Franzose eine vage Hoffnung.
Er setze allerdings darauf, dass Sebastian Kurz als künftiger Bundeskanzler Wort halte. Immerhin habe der ÖVP-Obmann die pro-europäische Haltung sowie den Einsatz gegen Antisemitismus und Extremismus einer von ihm geführten Regierung mehr als nur einmal betont. "Und ich habe keinen Anlass, den Worten von Herrn Kurz nicht zu glauben", so Moscovici, der Kurz persönlich noch nicht kennt. Kurz habe jetzt die Chance, sich als führungsstarker Politiker zu beweisen.
Entspannt pariert auch Österreichs EU-Kommissar Johannes Hahn die Frage nach den Brüsseler Reaktionen auf eine absehbare schwarz-blaue Koalition. Er werde immer nur gefragt, wann die Verhandlungen endlich beendet seien. Die Augen der EU-Institutionen seien derzeit vor allem auf die stockenden Regierungsverhandlungen in Berlin gerichtet, die Lage in Österreich sorge deshalb in Brüssel derzeit für keine Wellen, so der für die Nachbarschaftspolitik der Union zuständige ehemalige Wissenschaftsminister.
EU-Präsidentschaft bietet Profilierungschancen für Kurz
"Tough wie ein 42-Jähriger und ausreichend sympathisch": So charakterisiert ein weiterer hochrangiger EU-Politiker bei einem Hintergrundgespräch den 31-jährigen Sebastian Kurz. Natürlich verfolge der künftige Kanzler persönliche Karriereziele, aber ganz grundsätzlich traue er dem ÖVP-Politiker einiges zu.
Bei dieser grundsätzlich wohlwollenden Ferndiagnose spielt auch ein gerütteltes Maß an Eigeninteresse eine Rolle. Immerhin übernimmt Österreich im zweiten Halbjahr 2018 für sechs Monate die EU-Präsidentschaft. In dieser Phase habe Kurz, so der hohe EU-Politiker, die Möglichkeit, mit dem EU-Spitzen-Trio Donald Tusk, Antonio Tajani und Jean-Claude Juncker auf Tuchfühlung zu gehen. Darin liege zum einen eine große erhebliche Profilierungschance für Kurz selbst, aber auch für die EU stehe dann Erhebliches auf dem Spiel. Immerhin übernimmt Österreich die Koordination der Union zu einem Zeitpunkt, wo zahlreiche Vorhaben auf die Zielgerade einbiegen. Ab Jahresbeginn 2019 werde dann der Wahlkampf für die im Mai oder Juni dieses Jahres angesetzten EU-Wahlen die Brüsseler Politik in Beschlag nehmen.
Eine andere Frage ist, wie sich das deutsch-österreichische Verhältnis entwickeln wird. In Brüssel heißt es, es sei eher nicht anzunehmen, dass Kurz und die Berliner Langzeitkanzlerin Angela Merkel die engsten Partner sein werden. Dagegen würden die erheblichen Unterschiede in Persönlichkeit und Prägung sprechen, die nicht zuletzt auch in Persönlichkeit und Alter der beiden Politiker zum Ausdruck kämen.
Und die FPÖ? Die Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen will sich in Brüssel niemand schönreden, sie wird aber als demokratisch legitimiert akzeptiert. Die Wähler hätten es schließlich so gewollt, heißt es in der Hauptstadt der Union.