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Die Wähler in Umbruchstimmung

Von Rusen Timur Aksak, Linda Say und Bernd Vasari

Politik

Neue Islamvertretung soll im Juni feststehen. | Neue Präsidentschaft nach angekündigtem Rücktritt. | Wien. Am Sonntag ging in Wien die letzte Runde der Wahlen der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) über die Bühne. Auftrumpfen konnten dabei die türkischstämmigen Muslime. Von den 209 Delegierten der Wiener Gemeindeversammlung sind 154 - also drei Viertel - Austrotürken. An zweiter Stelle kommen die arabischen Vereine, gefolgt von jenen aus dem Balkan.


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In den anderen Bundesländern hatten die Muslime bereits zuvor ihre Gemeindeversammlungen gewählt. Einige Delegierte der Gemeindeversammlungen werden den Schurarat bilden, der sich noch konstituieren muss. Der Schurarat wiederum wird den nächsten IGGiÖ-Präsidenten wählen. Von den 500.000 Muslimen Österreichs waren 25.000 wahlberechtigt, rund 10.000 davon wohnen in Wien. In 77 Moscheen und Vereinen wurde in Wien gewählt.

Die Rolle der Ethnien

Durch den zuvor angekündigten Rücktritt des langjährigen Präsidenten Anas Shakfeh herrscht in manchen Wahllokalen Umbruchstimmung. Im islamischen Zentrum in der Gudrunstraße im zehnten Wiener Gemeindebezirk ist kaum jemand mit dem noch amtierenden Syrer zufrieden. Vor allem die türkischen Wähler und Wählerinnen zeigen sich überzeugt, dass der höchste Posten in der IGGiÖ von einem Türken übernommen wird. "Der arabische Einfluss in der Glaubensgemeinschaft ist für uns Türken sehr spürbar", meint ein Wähler. "Auch für uns Jugendliche ist es nicht einfach, uns unter die Araber zu mischen. Es ist eben nicht dasselbe", betont auch eine junge Wirtschaftsstudentin. Und ein 52-jähriger Wähler stimmt ein: "Die Türken bilden nun einmal die Mehrheit der Muslime. Wieso also nicht einen Türken an die Spitze wählen?" Anders sieht es ein 40-jähriger Bauarbeiter: "Ethnien spielen im Islam keine Rolle, Moslem bleibt Moslem", findet er.

Darüber, wer letztendlich das Zepter übernehmen soll, herrscht Uneinigkeit. Buzar Irfan, Mitglied des Obersten Rates und der Wahlkommission der IGGiÖ, betont bei einem Besuch in der Merkez Camii Moschee in der Pelzgasse im 15. Bezirk: "Wir werden mit dem Abschied von Anas Shakfeh einen großen Verlust erleiden. Obwohl wir nicht so schnell einen adäquaten Nachfolger finden werden, bin ich davon überzeugt, dass der eingeschlagene positive Weg fortgesetzt wird. Wir haben alles so weit gut aufgebaut."

Zurück in der Gudrunstraße, stoßen viele Wähler auf den Wahllisten auf unbekannte Namen, was dazu führt, dass sie einfach alle Namen ankreuzen. "Keine Ahnung, wer diese Leute sind, aber sie werden uns schon gut vertreten, so Allah will", hofft eine 43-jährige Frau.

Islamische Feiertage

Auch in der Anatolischen Hilfsorganisation ein paar Straßen gibt es hohe Erwartungen an den "hoffentlich türkischen" Präsidenten. "Unsere Kinder sollen wie gute Muslime aufwachsen und islamischen Unterricht in allen Schulen geboten bekommen. Außerdem muss ich als Vater das Recht haben, meine Tochter nicht in einen Gruppen-Schwimmkurs schicken zu müssen", ärgert sich ein 34-jähriger Vater.

Weitere Wünsche betreffen die muslimischen Feiertage wie den Fastenmonat Ramadan oder die Freitage: "Wir wollen freitags nur bis 12 Uhr arbeiten und danach zum Freitagsgebet, was für uns Muslime ja Pflicht ist. Manche von uns haben es satt, mit dem Chef zu diskutieren, um eine Stunde frei zu bekommen. Außerdem könnten auch Christen von muslimischen Feiertagen profitieren. So würden sie uns auch mehr schätzen", ist ein 47-jähriger Arbeitssuchender überzeugt.

In der Schura Moschee im zweiten Bezirk, die vorwiegend von Arabern besucht wird, teilt man den Wunsch nach den arbeitsfreien islamischen Feiertagen, welcher jedoch von einem noch größeren Anliegen in den Schatten gestellt wird: "Mindestens dreimal täglich sollte der Muezzin zum Gebet aufrufen. Das ist unser demokratisches Recht!", meint ein 52-jähriger Islam-Lehrer, der auf der Wahlliste steht.

In der Hauptmoschee der Union Islamischer Kulturzentren, Merkez Camii, haben sich genau 100 Gläubige für die Wahl registrieren lassen. Tunahan Dür, Religionslehrer in der HTL Ottakring und Vorstand des Wahllokals: "Wir wollen ein friedliches Zusammenleben. Leider besteht derzeit eine Islamophobie in Europa und der Islam wird oft mit Terror in Verbindung gebracht. Das dürfen wir aber nicht akzeptieren." Für die Änderung dieses Bildes seien vor allem die Mitglieder gefragt. Er verweist auf den "Gebets- und Begegnungsabend" gemeinsam veranstaltet von Christen, Muslimen und Sikhs an diesem Abend in Wien-Meidling: "Unsere Türen stehen für unsere Nachbarn offen."

Das Islamische Zentrum in Floridsdorf ist an diesem Tag das Wahllokal für die Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen. Ein sichtlich gut gelaunter Omar al Rawi, seines Zeichens Integrationsbeauftragter der Glaubensgemeinschaft und Wiener Gemeinderat (SPÖ), begrüßt Wähler und Presseleute, verweist auf Kaffee und Kuchen und wird nicht müde, die Wahlmodalitäten zu erklären. Viele Jugendliche und junge Erwachsene haben sich eingefunden: "Die Jüngeren bekommen eben die Islamfeindlichkeit mehr mit, deswegen kommen sie auch verstärkt zur Wahl", sagt der angehende Politologe Amin.

Höhere Wahlbeteiligung

Der Hot Spot für Wähler der Islamischen Föderation Wien (IFW) ist das islamische Gymnasium im 15. Bezirk. Die Wahlbeteiligung liege über den Erwartungen, sagt IFW-Sprecher Yakup Gecgel am frühen Nachmittag: "Wir haben derzeit knapp 60 Prozent Wahlbeteiligung und senden mit 18 (von 72) weiblichen Delegierten eine deutliche Botschaft." Auch Fuat Sanac, der Mann mit den besten Chancen auf die Präsidentschaft, ist vor Ort. Auf dem Weg aus dem Wahllokal sieht man an den Wänden mediale Nachrufe auf den verstorbenen Gründer der Milli Görüs Bewegung, Necmettin Erbakan. Eine Gruppe junger Musliminnen vor dem Gymnasium ist stolz auf ihre "Delegiertinnen".