Die Politiker werden nicht müde zu erklären, dass unser Gesundheitssystem super effizient, bestens organisiert und volkswirtschaftlich wichtig ist - die müssen es ja wissen!
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Herr M. ist 69, Raucher (15 Zigaretten pro Tag) und Pensionist, er ist verheiratet und sieht seine Kinder und Enkel regelmäßig. Seit 30 Jahren geht er mit den gleichen Freunden einmal pro Woche Tennisspielen. Herr M. ist also in der glücklichen Lage, nicht wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt gehen zu müssen, um sich krankschreiben zu lassen, und er muss auch nicht dort hin, um soziale Kontakte zu haben. Nur, wenn er wirklich krank ist, geht er zu seinem Hausarzt, den er schon lange kennt.
Nun kommt es, dass sich Herr M. krank fühlt. Er geht zu seinem Arzt, der ihn untersucht, seine Temperatur misst, ihn abhört, ein paar Bluttests und eher aus Routine heraus ein EKG macht. Am Ende hält er fest, das wohl eine schwere Bronchitis, vielleicht sogar eine leichte Lungenentzündung vorliegt. Er verschreibt Antibiotika, strikte Bettruhe und verbietet das Rauchen. Und siehe da, nach einer Woche, in der ihn sein Hausarzt zweimal besucht hat, um den Genesungsprozess zu überwachen, war Herr M. wieder wohlauf, und sein Tennis ist nur einmal ausgefallen.
Beide, Herr M. und der Arzt, denken, wie gut das Gesundheitssystem funktioniert - doch beide irren sich gewaltig, denn in diesem Fall hat es komplett versagt. Warum sie das nicht bemerkt haben, mag darin liegen, dass ihnen der wahre Sinn des Systems entgangen sein dürfte.
Denn, wie von Minister Stöger zu erfahren ist, dient es dazu, wirtschaftliche Stabilität zu gewährleisten und auch dazu, den Wirtschaftsaufschwung nach einer Krise zu unterstützen. Auch von Landespolitikern erfährt man, worum es geht; um tausende Arbeitsplätze und um irgendwelche Wirtschaftsmotoren, außerdem seien Spitäler konjunkturstabilisierende Großbetriebe, die volkswirtschaftlich betrachtet eine regionale Wertschöpfung von etwa 60 Prozent erzeugen.
Daher wäre es im Falle von Herrn M. richtiger gewesen, zuerst zum Hausarzt zu gehen, der jedoch keine Untersuchungen macht, sondern zu Fachärzten weiter überweist. Von dort wieder zurück zum Hausarzt, der zur Sicherheit empfiehlt, ins Spital zu gehen. Dort wäre ein Aufenthalt von sieben Tagen angebracht, währenddessen er Antibiotika einnimmt. Nach sieben Tagen, sofern er sich nicht mit etwas anderem ansteckt (zum Beispiel einer schweren Lungenentzündung - was das System gleich noch besser funktionieren lassen würde), kann er gesund entlassen werden. Wäre dieser Weg eingeschlagen worden, dann hätte das Gesundheitssystem wirklich funktioniert.
Natürlich hätte, kleinlich gedacht, das Ganze in etwa 4000 Euro gekostet, und nicht wie oben beschrieben vielleicht 200. Aber volkswirtschaftlich und unter dem Aspekt der Regionalförderung sind, wie uns gesagt wird, die 4000 Euro bestens investiert.
Natürlich könnte man fragen, ob die Differenz von 3800 Euro nicht irgendwie sinnvoller verwendet werden könnte. Zum Beispiel als Steuersenkung oder um die unterdotierte Pflege besser zu finanzieren oder vielleicht Kindergartenplätze gratis anzubieten oder so irgendetwas. Aber solche Gedanken zeigen nur, dass man keine Ahnung vom Gesundheitssystem hat.
Es ist uns Normalsterblichen wohl nicht vergönnt, genau zu verstehen, wofür es da ist. Zum Gesundmachen von Patienten wohl nur als Nebensache. Aber Gott sei Dank haben wir unsere Obrigkeit, die die komplizierten Umstände versteht, die wahren Aufgaben des Gesundheitssystems erkennt und uns mit weiser Hand führt.
Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheits ökonom und Publizist.