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Die wahren Dienstleister sind immer öfter die Kunden

Von Gerhard Kohlmaier

Gastkommentare

Die Automatisierung bringt es mit sich, dass Konsumenten immer mehr
selbst erledigen müssen - und sie bezahlen auch noch etwas dafür.


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Die postindustrielle Gesellschaft ist eine Dienstleistungsgesellschaft. In der Tat ist der Großteil der Beschäftigten in diesem Sektor tätig. Während in Österreich laut Statistik Austria nur noch 25,6 Prozent der Erwerbstätigen in der Industrie und 4,3 Prozent in der Landwirtschaft tätig sind, liegt der Dienstleistungsbereich mit 70,1 Prozent an der Spitze dieser Wirtschaftssektoren.

Betrachtet man nun das Wesen der Dienstleistung in der Interaktion zwischen Dienstleister und Kunde, so lässt sich das Tun des Dienstleisters in einer ordentlichen Beratung, einer speziellen Serviceleistung oder zumindest in Hilfestellungen bei Problemen charakterisieren. Allerdings wird in vielen Dienstleistungsbereichen gerade dieser Dienst am Kunden gar nicht mehr erbracht.

Es sind einerseits neue technische Entwicklungen, die Automatisierung sowie die Digitalisierung, die bewirken, dass die Kunden nicht Dienstleistungen empfangen, sondern zu Dienstleistern werden. Sie erbringen nicht nur Dienstleistungen für sich, sondern auch für jene Institute, die ihnen ihren eigenen Dienst an sich selbst in Rechnung stellen.

Besonders geschickt gehen dabei Banken vor. Die Kunden regeln ihre Geldgeschäfte online selbst und zahlen dafür trotzdem Gebühren. Wer den Geldverkehr nicht via Computer regelt, sondern dafür eine Bankfiliale aufsucht, sieht sich im Regelfall nicht Mitarbeitern aus Fleisch und Blut gegenübergestellt, die bei Geldtransaktionen zur Seite stehen, sondern einer Vielzahl von Automaten, die der Eingaben harren. Eine moderne Bankfiliale ähnelt einer Automatenspielhölle, in der man als Kunde nicht nur abgezockt wird, sondern eben die dafür notwendigen Tätigkeiten selbst erbringt.

Auch aus der Luftfahrt kennen wir den Trend vom Kunden hin zum Dienstleister. Wir nehmen die Buchung selbst vor, drucken uns die Tickets selbst aus, führen Platzreservierungen durch, checken unser Gepäck selbst ein und bringen dieses seit neuestem auch noch selbst zum richtigen Förderband. In den Supermärkten geht der Trend hin zum vom Kunden selbst durchgeführten Bezahlvorgang. Selbstverständlich gibt es noch richtige Dienstleistungsbereiche, wie beispielsweise den Beruf des Kellners oder des Friseurs. Wie lange noch, bleibt dahingestellt.

Konzerne bauen 6 bis 7 Prozent der Mitarbeiter pro Jahr ab

Eine bedeutsame Folge davon, dass wir Kunden selbst zu Dienstleistern an uns selbst mutieren, ist die Tatsache, dass wir so auch stillschweigend zu unbezahlten Mitarbeitern von Unternehmen und Konzernen werden. Diese kündigen andererseits massenweise Mitarbeiter, die sie bisher für ihre Tätigkeiten entlohnen mussten. Banken und Versicherungen beispielsweise haben in den vergangenen Jahren jährlich zwischen 6 und 7 Prozent ihrer Mitarbeiter abgebaut.

Diese "Rationalisierung" ist nur unter dem Gesichtspunkt der Gewinnmaximierung rational, denn die Konzerne ersparen sich dadurch nicht nur Lohnkosten, sondern auch eine Menge an Steuern, da diese nach der Lohnsumme und nicht nach der Wertschöpfung der Unternehmen berechnet werden. Für die überwiegende Zahl der ehemaligen Mitarbeiter jedoch ist diese Entwicklung alles andere als rational, denn sie landen in der Arbeitslosigkeit. Während solcherart das Betriebsergebnis der Banken im Jahr 2017 im Schnitt um 22 Prozent gestiegen ist, nimmt die Arbeitslosigkeit im Dienstleistungsbereich neben Industrie und Gewerbe am meisten zu.

Die postindustrielle Gesellschaft ist im Wesentlichen nach wie vor eine Dienstleistungsgesellschaft, aber eben zunehmend eine, in der es der Kunde ist, der seine Dienstleistung an sich selbst erbringt. Noch dazu erbringt er diese Leistung an sich selbst in den meisten Fällen nicht nur unbezahlt, sondern er zahlt dafür sogar noch in Form von Gebühren. Eine Entwicklung, die Anlass zur Sorge gibt.

Gerhard Kohlmaier ist AHS-Lehrer für Philosophie und Deutsch in Wien.