Jerusalem - Neue Friedensverhandlungen mit den Palästinensern oder eine weitere Eskalation der Gewalt? Neue jüdische Siedlungen in den besetzten Gebieten oder ein unabhängiger und lebensfähiger palästinensischer Staat? Vorentscheidungen zu dieser und weiteren Fragen werden von der nächsten israelischen Regierung erwartet. Doch vor den morgen stattfindenden Parlamentswahlen lieferten sich die Parteien eine Schlammschlacht mit heftigen Korruptionsvorwürfen. Als sicher gilt, dass Ministerpräsident Ariel Sharon bei der Wahl am 28. Jänner die meisten Stimmen erhalten wird.
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Sharons rechtsgerichtetem Likud-Block werden gut 30 der 120 Knesset-Sitze vorhergesagt. Allerdings lag Likud bei den Umfragen im November noch bei 40 Mandaten. Doch dann gab es einen Bestechungsskandal um Stimmenkauf bei der Aufstellung der Kandidatenlisten, und schließlich geriet Sharon persönlich ins Zwielicht wegen eines 1,5-Millionen-Dollar-Kredits aus Südafrika zur Rückzahlung illegaler Spenden für einen früheren Wahlkampf. Die oppositionelle Arbeiterpartei, die im November nach einem Streit über die Finanzierung von jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten aus Sharons Koalitionsregierung ausschied und damit die vorgezogene Knesset-Wahl notwendig machte, hielt mit ihren Vorwürfen nicht hinterm Berg. Der neue Parteichef Amram Mitzna titulierte Sharon als "Paten", der für das Amt des Regierungschefs ungeeignet sei. Korruption im Kabinett sei ein schlimmeres Übel als das irakische Regime, das man nicht einmal mit Gasmasken verdecken könne.
Dennoch ist es der Arbeiterpartei nicht gelungen, aus der Bredouille Sharons politisches Kapital zu schlagen. Sie verharrt in den Umfragen bei etwa 20 Mandaten, was sich auch nicht änderte, als Mitzna eine neuerliche Teilnahme an einer Koalition unter Sharons Führung ausschloss. Inzwischen ist Mitzna, der den Parteivorsitz erst im November vom früheren Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliezer übernahm, selbst in die Negativ-Schlagzeilen geraten. Als Bürgermeister von Haifa soll er Geschäfte mit zwei Amerikanern gemacht haben, die für ein kolumbianisches Drogenkartell Gelder gewaschen haben sollen.
Dritte Kraft nach der Wahl dürfte die säkulare Partei Shinui werden. Ihr werden mindestens 15 Mandate prognostiziert. Der Shinui-Vorsitzende Tommy Lapid will nach eigenem Bekunden nur dann eine Koalition mit Likud eingehen, wenn sich auch die Arbeiterpartei daran beteiligt und die religiösen Gruppierungen nicht einbezogen werden. Dies scheint nach der ablehnenden Haltung Mitznas gegen Sharon nicht mehr möglich. Hinzu kommt, dass Lapid mit abfälligen Bemerkungen weite Teile der Arbeiterpartei ebenso wie den linksliberalen Meretz-Block vor den Kopf gestoßen hat. Den religiösen Parteien wiederum könnte es zum Nachteil gereichen, dass die Wähler diesmal nicht mehr getrennt über den Ministerpräsidenten und die Parteilisten entscheiden. Vor allem diese Gruppen hatten von der bisherigen Möglichkeit des Stimmensplittings profitiert. Der Shas-Partei - bisher drittstärkste Kraft - werden aber immer noch 13 Mandate zugeschrieben.
Nach jüngsten Umfragen kann Sharon damit rechnen, zusammen mit den religiösen und ultrarechten Parteien eine hauchdünne Mehrheit in der Knesset zu erzielen. Einer solchen Regierung wird aber keine lange Lebensdauer zugetraut - wenn sie denn überhaupt zu Stande kommt. Schon jetzt wird in Israel befürchtet, dass es nach der Wahl keine tragfähige parlamentarische Mehrheit geben könnte, so dass der einzige Ausweg in einer weiteren Neuwahl liegen würde. Dies allerdings wäre angesichts der gravierenden Probleme des Landes das schlimmste aller Horrorszenarien.
Vor allem der Friedensprozess würde dann weiter auf der Strecke bleiben - mit möglicherweise verheerenden Folgen. Seit Beginn des palästinensischen Aufstands im September 2000, ausgelöst durch Sharons Besuch auf dem Jerusalemer Tempelberg, sind schon mehr als 2.700 Gewaltopfer zu beklagen, 2.000 von ihnen auf palästinensischer Seite. Die israelische Wirtschaft hat großen Schaden genommen, die Infrastruktur der Palästinensergebiete wurde weitgehend zerschlagen. Sharon will seinen harten Kurs fortsetzen und findet dafür in der israelischen Öffentlichkeit breite Zustimmung. Mitzna plädiert hingegen für Gespräche mit dem palästinensischen Präsidenten Yasser Arafat, den Sharon als Verhandlungspartner ablehnt, sowie für einen sofortigen Truppenabzug aus dem Gaza-Streifen.