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Heuer ist es wenigstens wirklich ein Wort. Im vergangenen Jahr hatten die Oxford Dictionaries ja ein Emoji zum internationalen Wort des Jahres gekürt. Für 2016 hat man sich für den Begriff "postfaktisch" entschieden. Das englische Wort "post-truth" bezeichnet laut Jury Umstände, in denen die öffentliche Meinung weniger durch objektive Tatsachen als durch das Hervorrufen von Gefühlen und persönlichen Überzeugungen beeinflusst werde.
Also, um ein aktuelles Beispiel der beschriebenen Dynamik zu geben: Wenn Bundespräsidentschaftskandidat Norbert Hofer bei einer Veranstaltung sagt, er kenne keine muslimischen Pfleger in Altersheimen, insinuierend, dass es kein muslimisches Pflegepersonal gebe. Wenn sich Zeitungen an einen sogenannten "Faktencheck" machen. Wenn dann die Caritas Wien meldet, dass allein bei ihr 130 Pfleger muslimischen Glaubens tätig sind. Wenn dann andere Institutionen keine Zahlen nennen können, weil nun einmal das Religionsbekenntnis nicht erfragt wird bei der Einstellung. (Also auch nicht, ob es sich um Christen oder Juden oder Zeugen Jehovas handelt.) Wenn dann Menschen die Aussage der Caritas ignorieren und nur die fehlenden Zahlen sehen. Und dann deshalb Menschen denken: "Da wird schon etwas dran sein."
"Postfaktisch" ist das hässlichste Wort des Jahres seit langem. Es macht bewusst, dass große Teile unserer Gesellschaft - unabhängig auf welcher politischen Seite - nur zu gern das Denken abgeben und das Zuhören verlernt haben. Da machte das Emoji damals mehr Freude: Das hatte noch etwas zum Lachen.