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Wien - Die Wahrheit in Bosnien-Herzegowina zu finden, dies sei sehr schwer: "Sie liegt irgendwo in den Bergen", stellt Zeljko Kopanja, Gründer, Chefredakteur und Herausgeber der in Banja Luka erscheinenden Zeitung "Nezavisne novine" (,,Unabhängige Zeitung"), in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten in Wien fest. Kopanja, der am Freitag mit dem Concordia-Preis für Pressefreiheit ausgezeichnet wurde, hatte im Oktober 1999 bei einem Anschlag beide Beine verloren. Den Kampf gegen Nationalismus und für ein multiethnisches Bosnien hat er aber fortgesetzt.
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Seine für investigativen Journalismus bekannte Zeitung sorgte u.a. mit harter Kritik gegen das Regime des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic für Aufsehen. Offen schrieb Kopanja auch über Korruption und kriminelle Machenschaften. Und als erste Zeitung in dieser Region berichtete "Nezavisne novine" auch über von Serben im Bosnien-Krieg (1992-1995) begangene Verbrechen. Genau dies wurde ihm wohl auch zum Verhängnis: Nachdem er einige Drohbriefe erhalten hatte, explodierte am 22. Oktober unter seinem Auto ein Sprengstoffpaket. Kopanja kam wie durch ein Wunder nicht ums Leben, verlor aber beide Beine. Die schwierigste Zeit der Rehabilitation verbrachte er in Österreich - unter dem Decknamen "Johann Hutterstrasser".
Nationalität oder Konfession spielten für den 48-jährigen bosnischen Serben, der mit einer Kroatin verheiratet ist, niemals eine Rolle. "Liebe unter den Menschen zu verbreiten", lautet sein Lebensmotto. Es sei vielleicht etwas irrational, dies zu behaupten, stammt er doch aus einem Land, in dem es im Krieg hundertausende Tote zu beklagen gab, so Kopanja, aber: "Es ist so, in Bosnien-Herzegowina sind viele Menschen so wie ich." Er hege auch keine Hassgefühle gegen jene Person, die den Anschlag auf ihn ausübte: "Vielleicht bin ich ein Masochist, aber ich hoffe, dass Gott diesem Menschen helfen wird."
Hass zwischen den Volksgruppen ortet er trotz aller Ereignisse nicht. "Wäre dies der Fall, würde ich nicht in Bosnien-Herzegowina leben." Sehr wohl gebe es aber auch heute noch "zu viele Extremisten". Ein anderes großes Problem im Land sei der "Primitivismus". Gebe man dem noch hinzu, dass es sich beim bosnischen Menschen um einen "sehr emotionellen" handelt, habe man die Basis, auf derer die Politiker die nationalen Gefühle der Menschen missbraucht hätten, bietet Kopanja einen Erklärungsansatz für die schrecklichen Ereignisse.
Sehr schwer sei es, die vom Nationalismus geblendeten Menschen "wieder zu ernüchtern", berichtet Kopanja. Dies zeige sich auch beim Medienverhalten: "Sie suchen nach Informationen, die ihre bestehende Meinung bestärken." Kopanja bezeichnet diesen Selektionsvorgang auch als "Flucht vor der Wahrheit".
Insgesamt herrsche aber auf dem Balkan mittlerweile eine "normale Kommunikation". Die einzigen Krisenherde seien noch Mazedonien und Kosovo. Ansonsten verbessere sich das Verhältnis zwischen den einzelnen Ländern stetig.
Was gegenwärtig den Menschen in Bosnien-Herzegowina Angst mache, sei die "Änderung des politischen Klimas im Westen". Mit sehr wenig Begeisterung würden sie "das Stärken der rechten und extremen Parteien" registrieren. Auch die Terroranschläge gegen die USA im September vergangenen Jahres könnten noch Folgen für Bosnien haben. Seit diesem Ereignis gebe es "einen größeren Widerstand der USA gegen bestimmte Länder", und darunter seien auch Serbien oder Bosnien, so Kopanja.
Immer wieder lässt der 48-Jährige in seinen Ausführungen seinen ungebrochenen Lebensmut und Willen, mit seiner Arbeit fortzusetzen, aufleuchten. "Ich bin Optimist", betont er wiederholt. Auch glaube er fest an den Fortbestand Bosnien-Herzegowinas. Als "größte Gefahr" für alle ex-jugoslawischen Staaten sieht Kopanja die Geheimdienste des Militärs und der Polizei. Diese "mächtigen Sicherheitsapparate" hätten sich zunächst in nationale Segmente geteilt. Heute hingegen verlaufe die Spaltung nach Interessensgruppen, "ähnlich wie beim KGB nach dem Zerfall der Sowjetunion". Viele Mordanschläge und Korruptionsfälle seien noch immer nicht geklärt. Auch sein Fall nicht. Er könne über die Täter nur mutmaßen, aber, so betonte Kopanja: "Alle Wege führen nach Belgrad."
Seine nach dem Dayton-Friedensabkommen gegründete "Nezavisne novine", die als einzige in ganz Bosnien erscheint und die meistgelesene Zeitung im Land ist, bezeichnet Kopanja als "Indikator": "Wenn Bosnien-Herzegowina nicht funktioniert, funktioniert auch die Zeitung nicht." Mit einem gewissen Stolz, zugleich aber dies als etwas völlig Normales betrachtend, erwähnt er beiläufig, dass die Mitarbeiter seiner Redaktionen in Banja Luka, Sarajewo und Mostar Serben, Moslems und Kroaten sind. Menschen nach nationalen Merkmalen zu betrachten oder gar zu beurteilen, das war Kopanja immer fremd.