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Der Montag werde "der Moment der Wahrheit für die Welt" im Irak-Konflikt sein, kündigte George W. Bush, Präsident des mächtigsten Staates der Welt, vollmundig nach seinem Kriegsgipfel mit den Regierungschefs von Großbritannien und Spanien, Tony Blair und Jose Maria Aznar, an. Die Wahrheit hat ein anderer "Staatsführer", der einem der kleinsten Staaten der Welt vorsteht, am Sonntag noch einmal eindringlich beschworen. "Ein Krieg würde fürchterliche Folgen für die Menschen im Irak und für die ganze Nahostregion haben", warnte Papst Johannes Paull II. in einem dramatischen Appell, in dem er die handelnden Personen zu "Mut und Weitsicht" aufforderte.
Ob Bush, der in einer der unsaubersten Wahlen der amerikanischen Geschichte zum Präsidenten gewählt worden ist, die geforderte Weitsicht aufbringen wird, darf bezweifelt werden. Möglicherweise hat er, wenn diese Zeilen erscheinen, bereits den Krieg gegen den Irak erklärt. Vielleicht fragt er sich auch - wie seinerzeit Stalin - über wieviele Divisionen der Papst verfüge. Diese Divisionen waren in den letzten Wochen überall in der Welt zu sehen: das Heer der Menschen, die ein deutliches "Nein" zum Krieg im Irak gesagt haben.
Aber die Wahrheit zählt ja schon zu den ersten Opfern dieses Krieges. Sie wurde schon vergewaltigt, bevor der erste Schuss gefallen ist. Mit großartigen Beweisen versuchen die Kriegsbefürworter um Bush seit Monaten die Schuld des Irak zu belegen. Dafür werden Unterlagen mehr oder weniger plump gefälscht, arme Staaten der Dritten Welt finanziell unter Druck gesetzt, in den USA der Eindruck erweckt - Umfragen belegen es - als ob die Attentäter der furchtbaren Anschläge vom 11. September 2001 direkt aus Bagdad gekommen wären. Die UNO-Inspektoren werden mit getürkten Unterlagen unter Druck gesetzt und verwirrt.
Saddam Hussein ist bestimmt eine der unangenehmsten Figuren der Weltgeschichte, allerdings nicht die einzige und seinerzeit, als die USA Verbündete gegen den Erzfeind Iran suchten, war er ihnen ebenso recht, wie die afghanischen Taliban und Osama bin Laden, als es gegen die Sowjets in Afghanistan ging. In den USA kursiert sogar ein Witz, die Amerikaner wüssten um die Waffen im Irak deshalb so gut Bescheid, weil sie alle Rechnungen und Lieferscheine aufgehoben haben.
Wie schon im Afghanistankrieg wird auch im Irak mit sogennanten "Kollateralschäden" gerechnet, wobei dieses Wort an Zynismus wahrscheinlich nicht zu überbieten ist. Das afghanische Beispiel zeigt klar, dass mit einem kurzen Blitzkrieg keinesfalls die Probleme gelöst sind. Afghanistan ist zwar angesichts der Krise um den Irak aus den internationalen Schlagzeilen weitgehend verschwunden. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der dortige Regierungschef Hamid Karsai zwar auf allen internationalen Ebenen auftreten kann, wenn er aber das Gebiet seiner Hauptstadt Kabul verlässt, schwer gefährdet ist.
Die sogenannten "Kollateralschäden" des Irakkrieges werden aber noch viel gravierender sein, als jene in Afghanistan. Eine von einem grausamen Diktator unterdrückte Bevölkerung wird noch mehr leiden als bisher. Das amerikanische Ansehen in den islamischen und arabischen Staaten ist auf einem absoluten Tiefpunkt und lässt Schlimmstes für die internationale Sicherheit befürchten. Die UNO und der Weltsicherheitsrat sind ebenso beschädigt wie die NATO. Und Amerikas Freunde in Europa, die die inneramerikanische Diskussion über die Irak-Krise differenzierter verfolgen als etwa die amerikanische Öffentlichkeit die europäische, werden vor schwierige Entscheidungen gestellt. Es ist den Amerikanern vom Typ eines Donald Rumsfeld - Stichwort "Altes Europa" - gelungen, die Europäer tief zu spalten, in jene, die die amerikanischen Freunde vor einem Abenteuer mit unübersehbaren Folgen warnen und jene, die nach jahrzehntelanger kommunistischer Diktatur für Verlockungen politischer und finanzieller Art besonders anfällig sind. Doch auch die Anhänger des amerikanischen Kriegskurses haben in ihren Ländern keineswegs die Bevölkerungsmehrheit hinter sich. Von Bushs sonntäglichen Gesprächspartnern wird Aznar in zwei Monaten nicht mehr Ministerpräsident sein, weil er nicht mehr zu den Wahlen antritt, bei den sich für seine Partei eine schwere Schlappe abzeichnet, und Blair sieht sich zunehmenden Schwierigkeiten in seiner eigenen Partei gegenüber. Der dritte im Bund der westeuropäischen Kriegsbefürworter, der rechtspopulistische italienische Premier Silvio Berlusconi, hat angesichts der Stimmungslage seine Töne schon sehr gedämpft und konnte nicht einmal seine eigene Frau von seinem Standpunkt überzeugen.
Es ist zu befürchten, dass der greise Papst, der in den letzten Wochen über sich hinausgewachsen ist, mit seinen Mahnungen auf taube Ohren stösst. Wir sollten alle mit ihm beten, dafür, dass "Mut und Weitsicht" die Verantwortlichen doch noch überkomme.