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Zahl wissenschaftlicher Fälschungen soll sich seit 1975 verzehnfacht haben.
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Wien. Wissenschafter stehen unter wachsendem Druck, ihre Arbeiten zu publizieren. Dabei wird die Richtigkeit der Ergebnisse zunehmend öffentlich überprüft, Fachkollegen schauen Autoren über das Internet auf die Finger. Auf der Online-Plattfom PubPOHSUeer.com bewerten Forscher anonym die Publikationen ihrer Kollegen. Vor wenigen Tagen nahmen sie eine Studie zu ersten Klonerfolgen am Menschen unter Beschuss.
Die US-Autoren um Shoukhrat Mitalipov von der Oregon Health & Science University hatten nach eigenen Aussagen erstmals menschliche Klon-Embryonen hergestellt und daraus Stammzellen gewonnen. Die Zellen können in jede Art von Körperzellen entwickelt werden, berichteten die Forscher in "Cell" und sprachen von einem Durchbruch. Man sei der Heilung von Parkinson, Herzkrankheiten oder von Verletzungen des Rückenmarks um einiges näher - Menschen klonen könne man damit aber nicht.
Wenige Tage nach der Veröffentlichung nahmen an der Arbeit unbeteiligte Wissenschafter die Studie über Pub Peer unter die Lupe. Sie erhoben Vorwürfe, dass es bei der Vorbereitung des Manuskripts Pannen gegeben haben müsse, da das Fachblatt es nach nur vier Tagen der Prüfung zur Veröffentlichung akzeptiert hatte. Zudem seien - wenig formgerecht - dieselben Abbildungen zur Dokumentation unterschiedlicher Experimente verwendet worden. Mitalipov bestätigte "unbeabsichtigte Mängel" in der Darstellung, die aber nicht die Ergebnisse beeinträchtigen würden. "Alles ist echt", betonte der US-Forscher. Er verwies auf eine begrenzte Anzahl vorhandener Fotos und erklärte, er habe die Ergebnisse rasch publizieren wollen, weil er sie auf einer Fachtagung im Juni präsentieren wollte. Auch das Fachblatt bestätigte eine Überprüfung, betonte aber: "Wir glauben nicht, dass die Fehler die wissenschaftlichen Ergebnisse beeinflussen."
"Jeder Wissenschafter wird daran gemessen, wie viel, wie schnell und wie hoch er publiziert - also in welchen angesehenen Journalen", sagt Nicole Föger, Geschäftsführerin der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität in Wien: "Viel wird an Impact-Faktoren (Einflussfaktoren) bemessen - sie sind die Geld-Währung der Wissenschaften."
Zitationen erhöhen Budget
In den Naturwissenschaften sind "Nature" und "Science" die Journale mit dem höchsten Impact-Faktor: "Wer dort publiziert, hat es geschafft. Das Ganze wird als Qualität des Journals ausgegeben, aber es geht darum, dass man am meisten zitiert wird", so Föger. Auch die Blockbuster-Qualität von Ergebnissen schlage sich nieder. Manche Institutionen würden Forschergruppen, die viele Impact-Faktoren erreichen, höhere Budgets zuteilen. Und die Zahl der Zitationen sei ausschlaggebend dafür, ob jemand für eine Position als Professor infrage kommt oder Fördergelder erhält.
Angesichts dessen wundert es vielleicht etwas weniger, dass Mitalipov überhastet publizierte. Dennoch macht es laut Föger ein "komisches Bild" und "es ist eine typische Ausrede zu sagen, es sind halt Fehler passiert". Misstrauen gewinnt Rückenwind aufgrund der Tatsache, dass eine Arbeit des südkoreanischen Forschers Hwang Woo Suk, der 2004 behauptet hatte, er hätte erstmals aus einem geklonten menschlichen Embryo Stammzellen gewonnen, sich als Fälschung entpuppt hat. "So etwas darf schon gar nicht passieren bei einer Veröffentlichung, die quasi darauf folgt", sagt der deutsche Stammzellenexperte Heinz Schöler.
Eine in den "Proceedings" der US-Akademie der Wissenschaften veröffentlichte Studie befasst sich mit "Fehlern", Plagiaten und Fälschungen. Untersucht wurden 2047 widerrufene wissenschaftliche Artikel aus Life Sciences und Biomedizin. Bei nur 21,3 Prozent lag demnach die Widerrufung an Fehlern. 67,4 Prozent waren auf Fälschungen, Plagiate, Doppelpublikationen und anderen Missbrauch zurückzuführen. Die Anzahl der Artikel, die wegen Fälschung zurückgezogen werden musste, hätte sich seit 1975 verzehnfacht. Jedoch ist auch die Zahl der Publikationen gestiegen.
Andere Untersuchungen gehen davon aus, dass 90 Prozent der Wissenschafter mindestens ein Mal, wissentlich oder unwissentlich, fragwürdige Praktiken anwenden, berichtet etwa Nicholas Staneck von der Universität Michigan im Fachblatt "Science and Engineering Ethics".