EU-Gipfel: Staats- und Regierungschefs befassen sich mit steigenden Energiepreisen und Steuerflucht.
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Brüssel. Energiewende ist ein dehnbarer Begriff. Während etwa Deutschland darunter in erster Linie die Abkehr von der Nutzung der Atomkraft versteht, würde diese in Polen einen neuen Trend und eine Alternative zu den Kohlekraftwerken bedeuten. Auch der verstärkten Förderung von Schiefergas ist Warschau, ebenso wie London, nicht abgeneigt - was zwar ebenfalls eine Innovation in Europa wäre, allerdings eine in etlichen Ländern sehr umstrittene. Und in der Energiepolitik der EU zeichnet sich wieder eine andere Wende ab.
Denn nur auf den ersten Blick hat die EU-Kommission kaum etwas Neues zu bieten. Zwar will sie Energiefragen in den Fokus der europäischen Staats- und Regierungschefs rücken, die am Mittwoch in Brüssel zusammenkommen. Doch die strategischen Ziele, die sie dabei betont haben möchte, gibt es schon seit Jahren.
Sie heißen Vollendung des Binnenmarktes, Investitionen in die Infrastruktur, Diversifizierung der Anbieter und Quellen sowie Energieeffizienz. All das haben sich auch die Mitgliedstaaten auf die Fahnen geheftet, doch sind sie selbst in unterschiedlichem Ausmaß bei der Umsetzung der Vorgaben säumig.
So sind die Märkte der EU von einem freien Wettbewerb noch entfernt - sowohl grenzüberschreitend als auch innerhalb der einzelnen Staaten. Die Stromnetze sind oft ungenügend miteinander verbunden; Produktionsspitzen in einem Land führen zu Problemen im Nachbarland. Etliche Regierungen setzen noch immer auf Preisregulierungen: Nur ein Drittel der Mitglieder - darunter Österreich und Deutschland - verzichtet auf solche Eingriffe in die Märkte.
Eine Diversifizierung, also Vergrößerung des Kreises der Anbieter, erweist sich ebenfalls als schwierig, zumal die Abhängigkeit Europas von Energieimporten in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Nach Schätzungen der Kommission wird die Gemeinschaft bis 2035 mehr als 80 Prozent der benötigten Öl- und Gasmenge von außen beziehen müssen.
Dass dabei einige Mitglieder vollständig von russischen Lieferungen abhängen, bereitet der Union besondere Sorgen.
Daher soll zumindest der Binnenmarkt gestärkt werden: Unter anderem sollen bis 2015 die Verbindungen so ausgebaut sein, dass jedes Land an Gas- und Stromleitungen der Partner angebunden ist. In der künftigen Finanzperiode will die Kommission dafür rund fünf Milliarden Euro vorgesehen wissen.
Umstrittene Nutzung von Atomkraft und Schiefergas
Andere Subventionen sorgen da für größeren Zwist. Wenn nämlich in den Schlusserklärungen des EU-Gipfels von der "Förderung von Energieeffizienz-Maßnahmen in allen Bereichen" oder der Erweiterung der Stromförder-Richtlinien auf alle kohlenstoffarmen Energieträger die Rede ist, befürchten einige Länder Finanzspritzen auch für die Nuklearenergie - denn lediglich fossile Quellen sind von diesen Beihilfen ausgeschlossen.
Dagegen wehrt sich etwa Österreich. Wien ist gegen eine Gleichsetzung erneuerbarer Energien mit Atomkraft. Genau das wollen aber Länder mit AKW wie Frankreich, Tschechien oder Großbritannien in der deklarierten Absicht sehen, gleiche Wettbewerbsbedingungen für Energieträger zu schaffen. Das hindert Paris und London aber nicht daran, umgekehrt eine aus ihrer Sicht übermäßige Förderung von Solar- und erneuerbarer Energie in Deutschland zu kritisieren.
Unterschiedlich bewerten diese beiden hingegen die Nutzung von Schiefergas, die etliche Staaten aus ökologischen Gründen ablehnen. Während sich Frankreich gegen den Abbau ausspricht, hat Großbritannien bereits ein Verbot aufgehoben. Energiekommissar Günther Oettinger selbst zeigt sich gegenüber der Förderung von Schiefergas offen: Vorschläge zur Nutzung der "Fracking" genannten Technologie will sein Kabinett noch in diesem Jahr präsentieren.
In den USA hat Fracking bereits zu großen Veränderungen auf dem Energiemarkt geführt. Nicht zuletzt durch die Nutzung von Schiefergas konnten die Strompreise für Unternehmen auf ein Drittel des Niveaus in Europa gesenkt werden, und mittlerweile sind die Vereinigten Staaten auf dem Weg vom Energieimporteur zum Exporteur. Immer heftiger warnt daher die europäische Industrie vor Wettbewerbsnachteilen für den Standort EU. Denn wie private Verbraucher hadert auch sie mit den hohen Energiepreisen.
Wettbewerbsfähigkeit rückt vor Klimaschutz
Das ist denn auch der Punkt, wo die Verschiebungen in der Energiepolitik der EU sichtbar werden. Deklarierte diese früher ihre Ziele in hohem Maß im Bereich des Klimaschutzes und der Sicherheit für Konsumenten, sollen nun die steigenden Energiekosten und ihre Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft sowie die Folgen für die Haushalte in den Vordergrund rücken - was etwa die Grünen im EU-Parlament aber auch Klimaschutz-Kommissarin Connie Hedegaard als Rückschritt werten. Doch können die Strom- und Gaspreise auch politischen Sprengstoff haben, wie zuletzt in Bulgarien, wo sie mit zum Sturz der Regierung geführt haben. Europaweit zahlen die Bulgaren am meisten für Gas, und wie in einigen anderen ärmeren Ländern der EU fließt im Schnitt ein gutes Fünftel ihres Einkommens in die Begleichung der Strom- und Gasrechnungen.
Unternehmen zahlen für ihre Kilowattstunden dank Vergünstigungen weniger. Dennoch machen ihnen die Preisunterschiede zu China oder eben den USA zu schaffen. Einige von ihnen drohen bereits mit ihrer Abwanderung. Daher warnt auch schon Kommissar Oettinger vor einer De-Industrialisierung Europas.
Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten kommen am Mittwoch in Brüssel zusammen, um der Steuerflucht sowie hohen Energiepreisen den Kampf anzusagen. Große Entscheidungen werden aber in beiden Bereichen keine erwartet - nicht zuletzt, weil der Gipfel nur bis 17.00 Uhr angesetzt ist. Für Österreich ist Bundeskanzler Faymann dabei, er fliegt am Abend zum deutschen SPD-Parteitag in Leipzig.
Energieziele der EU
(ag/red) Unter dem Schlagwort "20-20-20" hatte sich die EU plakative Ziele bis zum Jahr 2020 gesetzt: Die Emissionen sollten um 20 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden. Der Anteil Erneuerbarer Energiequellen (Wasser, Wind, Solar) in der EU soll auf 20 Prozent steigen. Und dank effizienterer Nutzung soll der Verbrauch um 20 Prozent sinken.
Die Zwischenbilanz fällt gemischt aus: Bei den Treibhausgas-Emissionszielen liegt Europa einigermaßen auf Kurs - unter anderem dank des Emissionshandels, aber auch wegen des rezessionsbedingt geringeren Energiekonsums. 2011 lag der Ausstoß laut Kommission 16 Prozent unter dem Niveau von 1990. Der Anteil Erneuerbarer Energie am Mix ist von 8,5 Prozent (2005) auf 13 Prozent (2011) gestiegen. Um das 2020-Ziel zu erreichen, müssten die Erneuerbaren um 6,3 Prozent pro Jahr wachsen - kaum machbar. Bei den (nicht bindenden) Effizienzzielen gibt es relativen Fortschritt: Der Höhepunkt war 2005/06 erreicht, seit 2007 geht der Energieverbrauch leicht zurück.
Wie hoch der Anteil Erneuerbarer nach 2020 sein soll, ließ das Europaparlament offen: Die Abgeordneten votierten am Dienstag in Straßburg gegen Vorschläge, das Ziel für 2030 bereits jetzt auf 40 oder 45 Prozent festzusetzen. Grüne und Sozialdemokraten hatten sich dafür eingesetzt, konservative Parlamentarier nannten die Vorgabe "utopisch". Jetzt soll die Kommission Vorschläge machen.