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Dass die Europäische Kommission, den Rat - also die Mitgliedstaaten - in Sachen Stabilitätspakt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagt, fördert die Dimension der Gemeinschaft zu Tage. Das Vorgehen Brüssels wird in den Ländern zum Teil heftig kritisiert. Es sei aber "der europäischen Integration durchaus förderlich", meint die Europarechtsexpertin Alina Lengauer im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
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"Es ist gut, dass sich die Kommission einmal nicht nur um die Einhaltung der Gurkenkrümmung kümmert", bringt die politische Situation ein EU-Beamter (der nicht für die Kommission arbeitet) auf den Punkt. Problematisch sei nur, dass dem EuGH letztlich die Entscheidung über die Anwendung der EU-Defizitregeln übertragen werde, "und ich glaube nicht, dass er darüber erfreut ist", meint Lengauer vom Juridicum in Wien.
Aus rechtlicher Sicht handelt es sich um eine "Nichtigkeitsklage", die die Kommission einbringen möchte. Der EuGH soll die Entscheidung des EU-Finanzministerrates, die Strafverfahren gegen Deutschland und Frankreich wegen des hohen Defizits auszusetzen, auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen.
Das sei einerseits eine politische Entscheidung der Kommission, "und politische Entscheidungen sind politisch zu treffen", findet Europarechtlerin Lengauer. Andererseits sei das Vorgehen der Kommission als Möglichkeit im Gemeinschaftsvertrag vorgesehen "und war offenbar von den Mitgliedstaaten gewollt", als sie diese Option festschrieben. Nun solle offenbar diese "politische Entscheidung verrechtlicht" werden, nach der Devise "der EuGH wird's schon klären", analysiert Lengauer. Das komme der Gemeinschaft zugute. Zum einen werde der EuGH aufgewertet. Diesem sei "an der Fortbildung des Europarechts gelegen", verweist die Juristin auf vergangene Urteile, wonach sich der Gerichtshof mehrmals als "Motor der Integration" erwiesen habe.
Zum anderen wittert die Expertin hinter der Stabilitätspakt-Klage - die immer noch zurückgezogen werden könne - "ein politisches Manöver" der Kommission gegenüber den Mitgliedstaaten, mit der Überlegung "wir werden Euch auf die Finger schauen. Und das ist gut so", findet Lengauer. Ihr Resümee: Die EU-Länder hätten sicherlich nicht mit einer Klage gerechnet. "Die Warnung als solche ist rübergekommen". Der Klage-Beschluss der Kommission sei "der europäischen Integration durchaus förderlich" - egal, ob der EuGH positiv oder negativ entscheiden werde.
Neuerliche Forderungen nach einer Reform des "Stabilitäts- und Wachstumspakts" (SWP), etwa seitens des Europa-Parlaments und der Kommission selbst, ließen nicht auf sich warten. Die Kriterien des Euro-Paktes ("Konvergenzkriterien") verlangen von den Mitgliedstaaten u.a. ein Haushaltsdefizit von maximal drei Prozent, eine Inflationsrate von höchstens zwei Prozent sowie eine maximale Verschuldensquote von 60 Prozent. Nach Ansicht von Volkswirtschaftern sind diese Kriterien willkürlich festgesetzt. Anstatt praktisch nur auf die Drei-Prozent-Defizitgrenze zu achten, sollte diese beispielsweise mit der gesamten Staatsverschuldensquote gekoppelt werden, lautet eine Reformüberlegung. Denkbar ist, dass die Regierungskonferenz zur EU-Verfassung nun auch mit der Überarbeitung des Stabilitätspaktes betraut wird - wenn das die Regierungen der Mitgliedstaaten wünschen.