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Die Arbeitslosenquote steigt in Österreich und der gesamten EU unaufhörlich.
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Wien. Es ist das zynische Antlitz der Wirtschaftskrise, wenn sich Österreich trotz bitterer und immer bitterer werdender Arbeitslosenzahlen glücklich schätzen muss. Der Juni brachte einen erneuten und ziemlich erheblichen Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Nun sind bereits 314.407 Personen auf Jobsuche, das sind um fast elf Prozent mehr als im Juni 2012. Gleichzeitig hat sich das Angebot an offenen Stellen um 14 Prozent reduziert.
Dennoch dient Österreich innerhalb der Europäischen Union als arbeitsmarktpolitisches Vorbild, laut Berechnungen der statistischen Behörde Eurostat ist in der EU die Quote im Mai um 0,1 Prozentpunkte auf 12,1 Prozent gestiegen, Österreich hat mit 4,7 Prozent nach wie vor die geringste Arbeitslosenquote. Und auch bei der Jugendarbeitslosigkeit ist Österreich - gemeinsam mit Deutschland - führend.
Deshalb werden Bundeskanzler Werner Faymann und Sozialminister Rudolf Hundstorfer am Mittwoch mit altbewährten, aber auch frischen Rezepten im Gepäck nach Berlin fahren, wo ein EU-Treffen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit angesetzt ist. Es ist eine der größten Herausforderungen vor der die EU derzeit steht. In Griechenland und Spanien, aber auch bei Neo-Mitglied Kroatien ist mittlerweile jeder Zweite unter 25-Jährige ohne Arbeit, in Österreich und Deutschland liegt diese Quote unter zehn Prozent.
"Die duale Ausbildung ist ein Exportartikel", sagt Hundstorfer und verweist darauf, dass das österreichische Lehrlingsmodell nun in Schweden eingeführt werden soll. Zudem habe sich die EU die im Februar beschlossene Beschäftigungsgarantie für Jugendliche von Österreich abgeschaut.
Bei dem hierzulande als Ausbildungsgarantie betitelten Programm erhalten Jugendliche, die keine betriebliche Lehrstelle finden, eine Ausbildung in einer überbetrieblichen Einrichtung, etwa einer Übungsfirma. Derzeit nehmen dies rund 9000 Jugendliche in Anspruch, für etwas mehr als 2000 sind noch Plätze frei. Doch es kann gut sein, dass auch die Restplätze bald besetzt sein werden, da die Lücke bei den Lehrlingsstellen zunehmend größer wird. Gegenwärtig übersteigt die Nachfrage das Angebot um 1500 Lehrstellen, im Juni 2012 waren es noch um 660 weniger.
Weniger Lehrstellen
Der letzte Weisheit Schluss ist das freilich nicht. Es gibt also auch beim Original einen gewissen Adaptierungsbedarf, wie Hundstorfer anmerkt: "Ich muss sagen: Es könnte mehr sein. Die Wirtschaft soll ihre Verantwortung wahrnehmen." In der Tourismusbranche etwa geht das Angebot an Lehrstellen relativ gesehen stark zurück, obwohl der Bedarf an Fachkräften ungebrochen groß und das Angebot in Österreich eigentlich nicht ausreichend ist.
Doch den Betrieben steht eben auch ein zweiter Weg offen, den Bedarf zu decken, und dieser ist bisweilen kostengünstiger und weniger aufwendig: Man holt sich Fachkräfte aus dem Ausland - in der Tourismusbranche traditionell aus dem Osten Deutschlands sowie seit der Arbeitsmarktöffnung 2011 auch aus Ungarn, der Slowakei, Tschechien und Polen.
Damit das System der dualen Ausbildung aber funktioniert, ist Solidarität unter den Betrieben Voraussetzung, auch wenn es da und dort bedeutet, Lehrlinge für Mitbewerber auszubilden. Durch Förderprogramme versucht die Regierung seit Jahren, Anreize für Unternehmen zu schaffen, weiterhin Lehrlinge aufzunehmen, und auch die Wirtschaftskammer ist bemüht, die Rahmenbedingungen für die Betriebe so zu gestalten, dass sie wieder verstärkt Jugendliche ausbilden. .
Dass die Bereitschaft zur Ausbildung durch das Angebot an geeigneten Arbeitskräften im (EU-) Ausland sinkt, drückt sich auch in den Arbeitslosenzahlen in Österreich aus. Laut Herbert Buchinger, dem Vorstand des Arbeitsmarktservice (AMS), findet schon seit geraumer Zeit ein Austausch am heimischen Arbeitsmarkt statt. Unqualifizierte Arbeitnehmer werden sukzessive durch qualifizierte ersetzt, die vor allem aus den Ländern im Osten der EU nach Österreich kommen. So sind etwa aus Ungarn im Vorjahr netto fast 8000 Personen zugezogen.
Das heißt zwar einerseits, dass der europäische Arbeitsbinnenmarkt funktioniert - Menschen ziehen im grenzenlosen Europa dorthin, wo es für sie Arbeit gibt -, andererseits hat dies da wie dort Auswirkungen. Wenn Pfleger aus der Slowakei verstärkt in Österreich oder Deutschland arbeiten, könnte es in Hinkunft dort zu einem Mangel an Arbeitskräften kommen.
In Österreich hat Markus Marterbauer, der Leiter der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der Arbeiterkammer, zwei Phänomene beobachtet: "Viele neu geschaffene Jobs werden von neuen Zuwanderern besetzt, gerade in der Dienstleistungsbranche. In diesem Fall wird niemand verdrängt. Das zweite Phänomen ist, dass junge, billige Ausländer, alteingesessene, teure Ausländer verdrängen", sagt er. Die Juni-Zahlen offenbaren, dass die Arbeitslosenquote bei Ausländern überproportional gestiegen ist, nämlich um fast 18 Prozent gegenüber dem Juni 2012. Mittlerweile hat auch schon jeder Zweite Arbeitslose lediglich maximal einen Pflichtschulabschluss, gilt damit als unqualifiziert. Durch die Öffnung des Arbeitsmarktes für die EU-8-Staaten ist der Druck auf diese Gruppe noch größer geworden, weshalb Hundstorfer neben dem Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit auch einen Schwerpunkt bei der weiteren Qualifizierung von Arbeitslosen setzt.
Seit gestern, Montag, sind die beiden Modelle der Bildungsteilzeit und des Fachkräftestipendiums in Kraft, bei bereits Arbeitslosen fokussiert sich das AMS nun verstärkt auf höhere Ausbildungen statt kleinerer Zusatzqualifikationen. "Im Jahr 2015 soll kein 18-Jähriger nach der Pflichtschule ohne Ausbildung bleiben", sagt Hundstorfer.
Bildungsreform nötig
Ökonom Marterbauer freut sich über das Vorhaben. "Es ist wichtig, dass sich die Politik derartige Ziele setzt", sagt er. Und auch Julia Bock-Schappelwein, Arbeitsmarkt-Expertin vom Wirtschaftsforschungsinstitut, sieht in der Bildung den Schlüssel zu einer nachhaltigen Reduktion der Arbeitslosigkeit. "Wichtig sind die Grundkompetenzen, die man innerhalb des Schulsystems aufbauen muss. Dann braucht es eine weiterführende Ausbildung, nicht nur für den Beruf, sondern auch berufsübergreifend", sagt Bock-Schappelwein.
Womit die Frage des Kampfes gegen Arbeitslosigkeit dort angelangt ist, wo eben die Basis für alle Qualifikationen gelegt wird: in der Schule. "Die Bildungsreform ist das Entscheidende. Die Jugendlichen sollen länger in Ausbildung bleiben und sich später spezialisieren müssen", sagt Markus Marterbauer. Rufe für eine Reform kommen auch von Industriellenvereinigung, in der Wirtschaftskammer verweist man auf ein bereits im Februar verabschiedetes Strategiepapier der Sozialpartnerschaft, in der diverse Reformen gefordert werden.
In jüngerer Vergangenheit ist das Thema Gesamtschule zwar wieder aus der politischen Diskussion verschwunden, doch dass Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer diese Schulform lieber heute als morgen gerne hätten, ist ausreichend dokumentiert. Die Gesamtschule allein wird zwar kaum ausreichend sein, um Hundstorfers Zielsetzung ("Kein 18-Jähriger ohne Ausbildung nach der Pflichtschule") zu erreichen, doch es würde wohl eine psychologische Hürde fallen, mit 15 den schulischen Weg zu verlassen.
Zwar entscheiden sich heute etwa 86 Prozent der Jugendlichen für eine weitere Ausbildung nach der Pflichtschule, allerdings bleibt dieser Wert seit Jahren konstant. Die übrigen 14 Prozent werden später schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. "Wenn man nur die Pflichtschule absolviert, ist man stark armutsgefährdet", sagt Hundstorfer.
Nicht nur Qualität zählt
Reformen im Schulwesen und bei den Ausbildungsmöglichkeiten für Jugendliche mögen sinnvolle und nachhaltige Maßnahmen sein, um die Arbeitslosenrate kurzfristig zu verringern, um wieder die Konjunktur zum Laufen zu bringen, helfen sie nicht.
Bei den Juni-Zahlen ist etwa die Alpine-Pleite noch gar nicht enthalten. Wie sich diese auswirken wird, ist derzeit noch nicht seriös zu beurteilen. Durch regionale Lösungen können jedenfalls Tausende Jobs gerettet werden. Doch dann gibt es noch den Fall Dayli, der wie ein näher rückendes Unwetter den Himmel zusehends verfinstert. "Wir stehen bereit", sagt Hundstorfer. Noch können die 3000 Angestellten hoffen, die Juni-Gehälter sind aber nicht fristgerecht bezahlt worden.
Gerade in der Handelsbranche, die mit 616.498 Beschäftigten die größte, aber auch eine der einkommensschwächsten ist, stellt sich nicht nur die Frage nach der Quantität, sondern auch der Qualität der Jobs. "Vor allem die neuen Jobs bringen recht niedrige Einkommen mit sich", sagt Markus Marterbauer. Die Ursachen seien zwar unklar. "Aber man darf vermuten, dass es eher Teilzeitjobs sind und eher in Branchen, in denen das Einkommen generell niedrig ist." Seine Forderung: "Man muss auch auf die Qualität der Jobs schauen."
Und das ist auch etwas, dass beim EU-Gipfel in Berlin Thema sein sollte: Von den rund 220 Millionen Beschäftigten in Europa sollen etwa 80 Millionen von Einkommensarmut ("working poor") betroffen sein.