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Die weibliche Seite der Radikalisierung

Von Konstanze Walther

Politik

Von aufmerksamen Müttern bis zu kämpfenden Töchtern: Eine Konferenz beleuchtete das Thema Frauen und Terror.


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Wien. Die sogenannte aufgeklärte westliche Gesellschaft hat noch einiges an Hausaufgaben zu erledigen. Etwa in Sachen Früherkennung von Terrorismus, insbesondere von Radikalisierung religiöser Ausprägung. "Es gab ein Laissez-faire von unserer Seite", erklärt etwa die renommierte österreichische Soziologin und Gründerin der NGO "Women without Borders", Edit Schlaffer.

Die Wissenschafterin war vergangene Woche Teil eines hochkarätigen Panels zum Thema "Frauen und Terrorismus" im Rahmen einer in Wien stattfindenden OSZE-Konferenz, die sich einen Tag lang im Parlament der Rolle von Frauen im Kampf gegen Extremismus und Terrorismus widmete. Österreich hält derzeit den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.

Mutter als Vertrauensperson bei Rekrutierungsversuchen

Schlaffers jüngstes Forschungsprojekt beschäftigt sich mit Müttern von radikalisierten männlichen Jugendlichen: Wem vertrauen sie, wovor haben sie Angst. Dabei wurden 1000 Mütter in Ländern wie Pakistan, Sudan bis hin zu Irland befragt. Was tun, wenn sie in ihrer Familie, bei ihren Kindern, eine mögliche Radikalisierung bemerken? Eine Erkenntnis der Studie: Maßnahmen von Polizisten und Militär werden nicht vertraut. Dafür ist das Vertrauen in religiöse Führungsfiguren zumindest ambivalent. Und hier ist es dann durchaus als problematisch zu sehen, dass sich in Europa Migranten lange Zeit in ihren "religiösen Räumen frei bewegen" konnten. "Das war vielleicht ein Fehler", denn die Verankerung des Primats der nationalen Gesetze wurde dadurch vernachlässigt.

Wem vertrauen nun die Jugendlichen? Zunächst einmal sind das laut Schlaffer Familienangehörige. Schlaffers NGO hat schon 2012 das Projekt "Mütterschulen gegen Extremismus" gegründet. Allerdings ist es natürlich nicht allen Müttern - oder auch anderen Familienangehörigen - möglich, die Präventionsprogramme zu besuchen. Die Tür steht dabei Müttern offen, die Angst haben, dass sich ihre Kinder "in unsicheren Räumen" bewegen, sei es nun, weil sie im Brüsseler Stadtteil Molenbeek wohnen, oder in Wien, Favoriten, "und vielleicht Ziele werden", erklärt Schlaffer.

Der Stellenwert von Lehrern in der Gesellschaft

Ein weiterer Ansatz für Vertrauenspersonen von Jugendlichen könnten Lehrer sein. Schlaffer drängt darauf, dass Lehrende mehr in die Terrorismusprävention eingebunden werden. Aber das funktioniert nur dort, wo Bildung und Unterricht einen Stellenwert in der Gesellschaft hat. "Das ist leider gerade am Balkan schwierig", erzählt Schlaffer.

Natürlich versuche man auch, Väter mit einzubinden. Aber es hat sich etwa gezeigt, dass - zumindest bei einer Untersuchung im tschetschenischen Umfeld - Väter eher einen "Erziehungsansatz von oben nach unten" verfolgen und es schwieriger ist, da den Dialog zwischen den Generationen zu fördern.

Im Terrorismus-Komplex sind Frauen aber nicht nur als Mütter und Schwester wahrzunehmen, erinnert die Moderatorin und Nahost-Expertin Gudrun Harrer: Frauen sind gleichzeitig auch Täterinnen. Davon berichtet Verena Fabris, Leiterin der Beratungsstelle Extremismus in Wien. Sie schildert etwa drei verschiedene Fälle, die bei ihrer Helpline gelandet sind, die die unterschiedlichen Gesichter, die weibliche Radikalisierung annehmen können, unterstreichen. Fabris erzählt etwa von der 14-jährigen Helen, die vor zwei Jahren aus Syrien geflohen ist, von ihrer Familie getrennt wurde, und nun in Österreich in einem Heim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wohnt. Helen will unbedingt nach Syrien zurück, um aufseiten der Kurden gegen den Islamischen Staat (IS) zu kämpfen.

Die vielen Gesichter der Radikalisierung

Ganz anders der Fall der 16-jährigen Karin, die einen österreichischen Hintergrund hat, in der Schule schikaniert wurde und sich erst von einer Gruppe extremistischer Mädchen "angenommen" gefühlt hatte. Karin konvertierte zum Islam und heiratete einen IS-Kämpfer, den sie im Internet kennenlernt. Daran, dass Extremismus nicht immer einen religiösen Beigeschmack hat, erinnert der Fall einer anonym gebliebenen 21-jährigen Frau, deren Freund und mittlerweile Ehemann in einer rechtsextremen Gruppe aktiv ist. Als die Frau den Kontakt mit ihrer Mutter abbricht, erklärt sie ihr, dass sie nun erstmals das Gefühl habe, "dass sie etwas gegen die Ungerechtigkeit der Welt tun könne", erzählt Fabris. Kurzum: Es ist nicht möglich, ein "typisches" Profil von weiblichen Terroristinnen zu erschaffen. Auch nicht innerhalb von gewalttätigen Gruppen. Da reicht die Rolle über Frauen als "Betreuungspersonal" über Aufgaben in der Propagandamaschinerie und Rekrutierung. Auch werden Frauen selbst als Selbstmordattentäterinnen aktiv.

Laut einer Studie waren von 784 "Rückkehrern" aus dem Dschihad nach Deutschland 21 Prozent Frauen. Die Mehrzahl davon waren Frauen ohne Migrationshintergrund und mit einem überdurchschnittlichen Bildungsgrad. Weshalb sympathisieren Frauen nun mit einer Ideologie, in der Männern generell eine wichtigere Stellung einnehmen? "Zum Teil sind es die gleichen Gründe, wie bei Männern", meint Fabris: aus Protest, aus Trauer, aus einem Abenteuergedanken heraus, aus dem Gefühl der Bedrohung von den Rechten einer marginalisierten Gruppe.

Schutzsuchend und emanzipatorisch

Doch Fabris macht auch geschlechterspezifische Gründe für den Anschluss von Frauen an terroristischen Gruppen aus. Für Frauen, die Gewalt - sowohl physischer als auch sexueller Natur - erfahren haben, bietet eine radikale Ideologie die Möglichkeit, "aus der Realität zu flüchten", oder aber auch "einen starken, beschützenden Partner" zu finden. Für muslimische Frauen sei dagegen die Einfindung in salafistische Strukturen "fast eine Art Emanzipation", meint Fabris, da sich Männer wie Frauen den gleichen strengen Regeln unterwerfen müssen. Auch sei für Frauen die Reduktion auf die Mutterrolle eine Flucht vor den Herausforderungen, die das moderne westliche Leben an sie stellt.

Die Zahl der aus Europa ausreisenden Jugendlichen nach Syrien oder den Irak nimmt übrigens seit der Ausrufung des Kalifats empfindlich ab. Doch Petra Weyland, Professorin am George C. Marshall Zentrum für Sicherheitsstudien, ist sich sicher, dass die Gefahr des IS und der Salafisten nicht vorbei ist, "selbst wenn Rakka oder Mossul fallen. Da kommt etwas Neues." Die Frage ist nur: was.

Die russische Politologin Yulia Nikitina, Professorin an der Moskauer Staatsuniversität für Internationale Beziehungen, streicht die Wichtigkeit der persönlichen Zuneigung hervor - zumindest bei den Fällen weiblicher Terroristinnen, die in Russland Aufsehen erregt haben. Eine der zwei Selbstmordattentäterinnen der Anschläge auf die Moskauer Metro 2010, die 41 Menschen mit in den Tod rissen, war die Witwe, die andere war eine Ehefrau eines Terroristen. Die Angriffe wurden tschetschenischen Separatisten zugeschrieben. Eine der Attentäterinnen hatte einen doppelten Universitätsabschluss in Psychologie und Mathematik.