Auch die wertvolle Bibliothek könnte von Malis Islamisten zerstört werden.
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Timbuktu. Der Bibliothekar ist verzweifelt. "Wenn sie die Bibliothek zerstören, ist alles weg. Alles. Unsere Geschichte, unser kulturelles Erbe, unsere Identität. Es wäre der totale Verlust", sagt der Mann, der jahrelang die mittelalterlichen Handschriften in der Ahmed-Baba-Bibliothek im sagenhaften Timbuktu katalogisierte, archivierte und digitalisierte. Es war von Anfang an ein Wettlauf gegen die Zeit. Zunächst gegen die Termiten und die gleißenden Strahlen der Sonne, die die porösen Dokumente zersetzten und die Tinte verbleichen ließen. Zuletzt gegen Ignoranz und Zerstörungswut. Der Wettlauf droht jetzt zu scheitern.
Seit einigen Wochen haben die der Al-Kaida im islamischen Maghreb nahestehenden Extremisten der Ansar Dine den Hort des Wissens im Norden Malis besetzt. Systematisch haben sie in der Wüstenstadt bereits sufistische Heiligtümer zerstört, weil sie nicht in ihr enges Weltbild passen. Jetzt könnten auch die Schriften der größten Bibliothek des westafrikanischen Landes den Zorn der Fundamentalisten auf sich ziehen und ihrem Vernichtungsfeldzug zum Opfer fallen.
Die Räume des 1973 auf Initiative der Unesco gegründeten Ahmed-Baba-Instituts beherbergen auf mürbem Papier, auf kunstvoll verzierten Schriftrollen, auf zwischen Kamelhäuten geschützten Seiten, auf vergilbten Kladden, in brüchigen Lederschubern und in abgewetzten Folianten die lange vergessenen Wüsten-Manuskripte, die einem von den ehemaligen Kolonialherren lange gepflegten Vorurteil widersprechen: der chauvinistischen Annahme, dass es in Afrika vor der Ankunft des weißen Mannes kaum eine Schriftkultur gab.
Auf Arabisch, in der Berbersprache Tamaschek und in den afrikanischen Sprachen der Sahelzone haben die Schönschreiber von Timbuktu im späten Mittelalter alles aufgeschrieben, was sie wussten. Da die Karawanenstadt am südlichen Rand der Wüste über Jahrhunderte nicht nur ein Umschlagplatz für die Waren des transsaharischen Handels, sondern auch für Wissen und Ideen aus aller Welt war, trugen die islamischen Schreiber im Laufe der Jahrhunderte einen immensen intellektuellen Schatz zusammen, der von einem liberalen und toleranten Islam zeugt.
Wissen aus aller Welt
Timbuktu galt zu seiner Blütezeit mit seinen zahlreichen Gelehrten und Studenten und den mehr als 150 Koranschulen als schwarzes Oxford, hatte im intellektuellen Diskurs der Epoche eine ähnliche Stellung wie Kairo, Damaskus oder Bagdad. Unter den bis zu 300.000 Manuskripten, die Forscher im Norden Malis vermuten, befinden sich Aufzeichnungen zur Religion, Geschichte, Philosophie, Astronomie, Astrologie, Biologie, Geografie, Literatur, Medizin, Mathematik und zum islamischen Recht sowie Huldigungen, Ratgeber und Korrespondenzen. "Die Schätze der Weisheit sind nur in Timbuktu zu finden", lautet ein altes malisches Sprichwort. Doch diese Schätze drohen nun für immer verloren zu gehen.
"Mindestens drei Ansar-Dine-Männer hausen im neuen Gebäude der Ahmend-Baba-Bibliothek. Die Computer unseres Instituts wurden geplündert. Bisher haben sie die Schriften verschont, aber das kann sich jederzeit ändern", berichtet ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bibliothek. Im Jänner, als immer mehr schwer bewaffnete Tuareg-Rebellen, die dem gestürzten libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi gedient hatten, in den Norden Malis zurückkehrten, um dort gegen die malische Armee für ihren eigenen unabhängigen Staat Azawad zu kämpfen, ist er mit seinen zwei Kindern und seiner Frau in die fast 1000 Kilometer südlich gelegene Hauptstadt Bamako geflohen. Seitdem telefoniert der 38-Jährige, der aus Angst vor den selbsternannten Hütern des wahren Glaubens seinen Namen nicht verraten möchte, fast täglich mit Freunden in Timbuktu. Was man ihm berichtet, macht ihm Angst. Angst um seine Freunde und Angst um die Manuskripte. "Ansar Dine hat in der Stadt eine Schreckensherrschaft errichtet. Timbuktu war einst eine fröhliche Stadt - jetzt ist das Lachen verschwunden", erzählt der Mann.
Ein wichtiges Faustpfand
Der Historiker Shamil Jeppie befürchtet, dass dem religiösen Rigorismus der Ansar Dine nach den Mausoleen auch die Schriften von Timbuktu zum Opfer fallen könnten. "Die Manuskripte sind in höchster Gefahr. Vor allem Sufi-Texte und Aufzeichnungen mit Zahlen könnten die Salafisten für gotteslästerliches Teufelszeug halten und sie zerstören", befürchtet der Wissenschafter der Universität Kapstadt, der die Manuskripte in Timbuktu mit Experten aus aller Welt erforscht. "Der materielle und ideelle Verlust wäre unabschätzbar. Wir haben bisher nur einen Bruchteil des Korpus auswerten können", sagt Jeppie.
Seit keine leicht zu entführenden Touristen mehr nach Timbuktu kommen, sind die Manuskripte zu einem wichtigen Faustpfand für die Islamisten geworden. Die Ansar-Dine-Männer wissen, dass sie mit der angedrohten Zerstörung des in der Bibliothek gesammelten kulturellen Erbes auch international auf sich aufmerksam machen würden und ihren absoluten Herrschaftsanspruch im Norden Malis demonstrieren könnten. Der nach Bamako geflohene Bibliotheksmitarbeiter hofft, dass sie diese letzte Karte aus Respekt vor den Schriften nicht ausspielen werden. Es ist nur eine Hoffnung.