Bisher war Großbritannien auf islamistischen Terror fixiert. Mit dem jüngsten Anschlag geraten die Rechtsextremen in den Blick.
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London. In jüngster Zeit hatten in Großbritannien vor allem fanatische Islamisten Angst und Schrecken verbreitet. Die Regierung Theresa Mays war ganz auf Attacken dieser Art fixiert.
Der nächtliche Angriff nahe der Finsbury-Moschee in Nord-London aber hat das Augenmerk auf eine ganz andere Gefahr gelenkt. Nach Polizeiangaben ist die Zahl der den Behörden gemeldeten Rechtsextremisten binnen eines Jahres um fast ein Drittel und die Zahl der Verhaftung mutmaßlicher Terroristen weißer Hautfarbe sogar um zwei Drittel angestiegen. Neben Fremdenhass und Rassismus ist Hass auf Moslems ein zentrales Motiv für viele, in dieser rasch wachsenden Bevölkerungsgruppe im Königreich.
Tim Farron, der Vorsitzende der britischen Liberaldemokraten, hat die Regierung May jetzt beschuldigt, durch "mangelnde Aktion" gegen Rechtsextremismus Angriffen auf Moslems "ein günstigeres Klima" verschafft zu haben. "Während alle Rhetorik seitens der konservativen Regierung sich um islamischen Fundamentalismus drehte", sagte Farron, "hat man die wachsende Bedrohung durch weiße Extremisten ignoriert."
Anlass für die Warnung Farrons war die Aktion in der Nacht auf Montag, bei der der 47-jährige Darren Osborne einen Lieferwagen gezielt und mit hoher Geschwindigkeit in eine Gruppe Moslems steuerte, die gerade aus einem Gemeindezentrum der Finsbury-Moschee gekommen waren. Bei der Tat wurde ein Mann getötet. Elf Personen wurden verletzt. Nach Angaben von Augenzeugen hatte Osborne am Tatort gerufen: "Ich will alle Moslems töten!" Weiter soll er geschrien haben: "Ihr verdient es." Und: "Jetzt könnt ihr mich umbringen, ich habe meinen Teil getan."
Mittlerweile ist bekannt, dass es sich bei Osborne um einen arbeitslosen Vater von vier Kindern handelt, der im walisischen Cardiff lebte und sich vor drei Wochen erst von seiner langjährigen Partnerin, der Mutter der Kinder, getrennt hatte. Seither schlief Osborne offenbar in einem Zelt. Er war bekannt für aggressives Verhalten, vor allem im alkoholisierten Zustand, und für Schlägereien. Bekannte nannten ihn "einen schrecklichen Menschen", bei dem es "einfach aussetzte", wenn er betrunken war. Noch letzten Samstag, als er schon den später zur Tat benutzten Lieferwagen gemietet hatte, sei er aus einem Pub geworfen worden.
Familienangehörige beharrten darauf, dass sich Osborne "niemals rassistisch geäußert" habe. Nachbarskinder berichteten allerdings, Osborne habe sie noch voriges Wochenende mit dem Wort "Inzucht" beschimpft. Osborne soll auch auf seinem Twitter-Account Mitteilungen der Führer der rechtsextremen Partei "Britain First" verfolgt haben, deren Motto ist: "Wir wollen das Christentum als Felsen und Ursprung unseres nationalen Lebens wieder in sein Recht einsetzen."
Einer rechtsradikalen Gruppe gehörte Osborne den Geheimdiensten zufolge aber ebenso wenig an wie der Nazi-Bewunderer Thomas Mair, der vor genau einem Jahr im Brexit-Rausch die Labour-Abgeordnete Jo Cox auf offener Straße tötete. Das rechte Milieu hat jedoch offenbar bewusst jede klare Distanzierung vermieden. So ist für zwei Hauptverbände der äußersten Rechten, die National Front und die English Defence League (Englische Verteidigungs-Liga), Darren Osbornes Tat "keine Terroraktion, sondern bloß ein Racheakt".
Die Gruppe "Tell Mama", die in letzter Zeit ebenfalls einen scharfen Anstieg von Hass-Verbrechen gegen Moslems verzeichnete, wirft dem britischen Staat daher auch vor, die Gefahr durch Rechtsextremisten im Lande nicht ernst genug genommen zu haben. "Es war klar, dass das kommen würde", sagte ein Sprecher zu Osbornes Anschlag. "Wir haben seit langem davor gewarnt."