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Die Welle des Anstoßes

Von Alexandra Grass

Wissen
© Walter Christ - stock.adobe.com

Seit Jahren nutzt man Stoßwellen, um Nierensteine zu zertrümmern. Heute lassen sich damit auch Herzen regenerieren.


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Als mechanischer Impuls dringt sie in den Körper ein und führt dort zu Umwandlungsprozessen, die dem biologischen System Mensch einen lebensfördernden Aufschwung verleihen. Die Stoßwelle lässt Knochen erstarken, Wunden besser verheilen, aber auch Herzen regenerieren. Letzterer Effekt blieb lange Zeit ein Traum der modernen Medizin. Mittels kardialer Stoßwellentherapie ist es heute möglich, das menschliche Pumporgan nach einem Infarkt wieder auf Vordermann zu bringen. Die moderne Herzchirurgie hat damit einen effektiven Helfer bei der Hand, der nicht nur das Überleben, sondern das Leben wieder in vollen Zügen ermöglicht. Weitere Durchbrüche zeichnen sich auch schon in der Nervenregeneration bei Lähmungen ab, wie der Unfallchirurg Wolfgang Schaden, auch Präsident der International Society for Medical Shockwave Treatment, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" über neue Ansätze berichtet.

Die Geschichte der Stoßwelle reicht bis in den Zweiten Weltkrieg zurück. Als bei schiffbrüchigen Soldaten - ohne Spuren äußerer Einwirkung - zerplatzte Lungen festgestellt worden waren, waren die Druckwellen gegnerischer Wasserbomben als Ursache in Verdacht geraten. Erst gut 30 Jahre später hat das physikalische Phänomen die Medizin erobert. Seit 1980 werden zum Beispiel Nierensteine mittels der sogenannten Extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie (ESWL) erfolgreich zertrümmert.

Knochen und Wunden heilen

Dabei erzeugt ein Generator akustische Druckwellen, die erst in der Tiefe gebündelt werden. Diese Verdichtung der Stoßwellen führt letzten Endes dazu, dass Festkörper wie etwa Verkalkungen in feinste Partikel zerrieben werden. Nächster Ansatzpunkt war die Behandlung von Knochenverletzungen. So war man davon ausgegangen, dass durch die Mithilfe der Stoßwellen Mikroläsionen entstehen, die der Körper dann repariert. "Diese Vorstellungen waren grundlegend falsch", betont Schaden. Denn es findet gar keine Zerstörung statt.

Die Zellstrukturen werden kurzfristig deformiert und bilden sich wieder zur normalen Form zurück. Doch im Zuge dessen kommen durch die Stoßwellen biologische Prozesse in Gang, die nicht nur die Knochenheilung fördern, sondern etwa auch die Wundheilung. Wir haben begonnen, zu erforschen, welche Kaskaden hierbei ausgelöst werden und welche Pathways der Körper dafür nutzt, erklärt der Mediziner im Gespräch.

Stammzellen im Einsatz

"Wir konnten nachweisen, dass, wenn krankhaftes Gewebe in einem Organismus Stoßwellen ausgesetzt wird, Signale ans Knochenmark gesendet werden. Durch diese werden dort Stammzellen rekrutiert, die abwandern und an der gewünschten Stelle differenzieren - also neue Gewebezellen bilden. Das war der Durchbruch."

Der Körper besitzt zwei Gewebe, wo es in der klassischen Medizin kein wirklich wirksames Therapieangebot gibt, so Schaden. Nämlich den Herzmuskel und das Nervengewebe. Und genau dort kommen Stoßwellen als "billige, einfache und deppensichere", wie es der Mediziner flapsig beschreibt, Therapieform heute erfolgreich zum Einsatz.

Werden bei einer Bypass-Operation direkt am Herzen Stoßwellen appliziert, so kann der Körper wieder gesundes Gewebe und auch neue Blutgefäße aufbauen. In Folge kommt es zu einer besseren Pumpfunktion des Herzens.

Und auch im Nervengewebe konnten die Forscher ähnliche Effekte beobachten. Dazu hat die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt AUVA federführend einen österreichweiten Versuch ausgerollt. Darin werden Stoßwellen bei akuten Wirbelsäulenverletzungen mit Beteiligung des Rückenmarks eingesetzt. Nach einem Unfall mit Querschnittssymptomatik sollen binnen 48 Stunden Stoßwellen auf das Rückenmark aufgebracht werden - in der Hoffnung, weitere Schäden sowie neurologische Ausfälle und Lähmungen im besten Fall verhindern zu können. Derzeit läuft eine österreichweite Studie, an der alle Unikliniken bis auf Graz, sowie die Unfallkrankenhäuser beteiligt sind. "Schon die ersten klinischen Ergebnisse bei der Herzstudie haben alle Erwartungen übertroffen", berichtet Schaden.

Neue Blutgefäße entstehen

Bei neurodegenerativen Erkrankungen befinde man sich noch "völlig im Experimentierfeld", so der Mediziner. Dennoch gibt es bereits vereinzelte Berichte, dass auch Patienten mit Polyneuropathie von der Stoßwellentherapie profitieren. Dabei komme es aber vermutlich zu keiner Ausheilung, sondern vor allem zu einer Verbesserung der Symptomatik. Zeigen die ersten Piloterfahrungen tatsächlich positive Auswirkungen, könnte man das ganze in einer klinischen Studie wissenschaftlich aufarbeiten.

Doch leichter gesagt als getan. Es sei schwer, an öffentliche Forschungsgelder zu kommen, klagt Schaden. "Gäbe es in Österreich keine Institution wie die AUVA, die einen gesetzlichen Forschungsauftrag hat, oder das Ludwig Boltzmann Institut, die Studien unterstützen, wären wir lange nicht so weit."

In hunderten Studien konnte bereits gezeigt werden, dass sich in dem mit Stoßwellen behandelten Gewebe neue, funktionstüchtige Blutgefäße bilden. Überall dort, wo aufgrund mangelnder Durchblutung ein Sauerstoffmangel besteht, bilden sich neue lokale Kapillaren, schildert der Mediziner.

Ansätze bei Alzheimer

Die Wirkung auf das Nervengewebe ließ die Forscher auch schon weiterdenken. Und so gibt es bereits erste Zulassungen bei Frühformen von Morbus Alzheimer. Auch erste Beobachtungen bei posttraumatischen kognitiven Störungen in Folge eines Schädel-Hirn-Traumas sind bereits niedergeschrieben.

Nicht zuletzt kommt die Stoßwellentherapie auch bei erektiler Dysfunktion oder in der ästhetischen Medizin erfolgreich zum Einsatz. Im Vergleich zur Herzchirurgie Randgebiete, die für den Einzelnen dennoch von großer Bedeutung sein können.