Das soziale Netzwerk hat mehrere hundert Millionen Nutzer - eine ideale Bühne für Politiker.
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Genf. Auch geistliche Führer zwitschern: US-Präsident Barack Obama hat mit über 43 Millionen zwar immer noch die meisten Follower, doch gleich danach folgt Papst Franziskus auf dem zweiten Platz. Der Pontifex bekommt weitaus mehr Retweets, seine Nachrichten werden von seinen Fans also häufiger weiterverteilt. Allein seine spanischen Tweets werden durchschnittlich über 10.000 Mal geteilt, Obama wird nur ein Zehntel Mal so oft retweetet.
Das sind die Ergebnisse einer neuen Studie der Schweizer PR-Agentur Burson-Marsteller. Obamas Account sei übrigens auch deshalb so erfolgreich, weil er neuen Nutzern des in San Francisco beheimateten sozialen Netzwerks auf der Startseite vorgeschlagen wird, außerdem ist er auf der Liste der "empfehlenswerten User".
Seit seinem Wahlsieg Ende Mai konnte der indische Premier Narendra Modi in nur wenigen Wochen etwa fünf Millionen Follower ansammeln. Sein kometenhafter Twitter-Aufstieg zeigt, dass Politiker aus bevölkerungsreichen Ländern klar im Vorteil sind.
ErdogansDoppelmoral
Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan ist auf der Liste der 50 auf Twitter beliebtesten Regierungschefs sogar mit zwei verschiedenen Accounts vertreten. Dabei hatte die Regierung in Ankara den Zugang zu Twitter am 21. März im Vorfeld der Kommunalwahlen gesperrt. Über das soziale Netzwerk waren Tonaufnahmen verbreitet worden, die Korruption im engeren Umfeld des Premiers belegen sollen. Anfang April hatte das Verfassungsgericht die Sperre aufgehoben.
Werner Faymann schaffte es dagegen nicht auf die Liste, denn er ignoriert das "Twitterversum" und hat keinen eigenen Account. Das Regierungs-Profil "teamkanzler" zwitscherte zuletzt 2011. Auch Angela Merkel fehlt auf der Top 50, obwohl sie eine aktive Nutzerin ist und auch gerne mal Selfies hochlädt.
Mit Humor nimmt es der finnische Premierminister und passionierte Ironman Alexander Stubb. Er postete zuletzt Fotos seiner nackten Füße. Eine Sammlung der bemerkenswerteren Selfie-Tweets findet sich zum Beispiel auf der Plattform Storify.
Die meisten Politiker twittern natürlich nicht selbst. "Ich habe noch nie getwittert", räumte Obama während einer Asienreise vor Studenten in Shanghai ein. "Meine Finger sind zu ungeschickt, um so viel ins Telefon zu tippen", soll er gesagt haben.
Tweets sind auf 140 Zeichen begrenzt - die maximale Länge einer SMS. Nicht genug, um komplexe Inhalte zu teilen. Der Dienst wird von Politikern also eher für werbe- und wahlwirksame Statements genutzt. Ein Foto sagt dabei häufig mehr als 140 Zeichen.
Während es Staatschefs vor allem darum geht, ihre Beliebtheit zu steigern, nutzen Außenminister Twitter auch dazu, um sich mit ihren Kollegen zu vernetzen. Erst im September 2013 begann das amerikanische State Department, 22 anderen Ministerien zu folgen, darunter dem iranischen Außenminister Mohammad Javad Zarif. Der schüchterne Beginn einer neuen diplomatischen Beziehung auf Twitter?
Der am besten vernetzte Außenminister ist der Franzose Laurent Fabius, er ist via Twitter mit beinahe hundert Kollegen verbunden. Das britische Außenministerium animiert seine Botschafter dazu, Twitter zu nutzen und es ist so gut wie unmöglich ohne Twitter-Account einen Diplomatenjob zu ergattern. Das am besten vernetzte Ministerium ist bisher das schwedische Außenministerium, es folgt über 355 Politikern. Auch die Außenministerien von Island, Kirgisistan und Peru haben laut der Studie in ähnlicher Weise versucht, sich international bemerkbar zu machen. Dieses virtuelle diplomatische Netzwerk, wie es von den Verfassern der Studie genannt wird, ermöglicht es Politikern theoretisch, sich unkompliziert auszutauschen. Inwieweit das wirklich geschieht, darüber kann die Studie leider eine Auskunft geben.
Besonders das schwedische Außenministerium hat sich unter dem Banner #DigitalDiplomacy bemüht, Anhänger für die Idee zu finden. Im Jänner 2014 lud das Ministerium 30 Diplomaten aus aller Welt ein, um Ideen zu entwickeln, wie man sich die digitalen Werkzeuge am besten zunutze machen könnte.
Barack Obama folgt übrigens nur zwei anderen Kollegen: der norwegischen Staatschefin Erna Solberg und dem ehemaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew.
Kein Twitternaus Ausschüssen
Es bleibt die Frage, ob Twitter im von Facebook dominierten digitalen Universum überhaupt überleben kann. Das Wachstum des Netzwerks hat sich in den letzten Monaten deutlich verlangsamt. In Österreich werden derweil neue Geheimschutzregeln debattiert. Der zweite Nationalratspräsident Karlheinz Kopf (ÖVP) präsentierte Anfang des Monats einen Vorschlag, der einen "besseren Geheimnisschutz" vorsieht. Sitzungen und Dokumente sollen demzufolge viel häufiger als "geheim" einstuft werden. Aus den Ausschüssen zu twittern wäre dann verboten.
Die Opposition ist gegen den Vorschlag, Grünen-Chefin Eva Glawischnig hält ihn für "absolut überschießend."