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Die Welt fürchtet sich vor Europa

Von Reinhard Göweil aus Washington

Wirtschaft

Euro-Krise kann weltweite Schrumpfung auslösen. | Angst vor Ansteckung der Banken, Osteuropa erneut im Fokus.


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Washington. "Der Satz Europa steht vor großen Herausforderungen ist vermutlich die Untertreibung der Woche", seufzte EU-Kommissar Olli Rehn bei einer Veranstaltung des Peterson-Instituts, eines Think-tanks in Washington. Er sprach über die Zukunft des Euro und der EU. Die wird mittlerweile weltweit als stark gefährdet bezeichnet. Bei der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF), wo sich mehr als 180 Finanzminister und Notenbank-Chefs treffen, ist Europa der globale Buhmann.

Es ist nackte Angst, die in den USA, Südamerika und Asien herrscht. Angst, dass Europa seine Krise nicht lösen kann. Angst, dass das europäische Bankensystem in die Knie geht. "Das würde eine weltweite Rezession auslösen", ist ein hoher Mitarbeiter der Weltbank überzeugt. Ökonomen des Peterson-Instituts fordern, dass Europa den Euro-Rettungsschirm besser als bisher nutzt.

Es geht in Europa um alles oder nichts, weil die Märkte verrückt spielen. "Der August hat die Situation grundlegend verändert", sagte der Weltbank-Ökonom, der anonym bleiben wollte. "Es gibt mittlerweile auch einen massiven Kapitalabfluss aus den sich entwickelnden Ländern. Diese Volkswirtschaften wie China, Indien, aber auch Osteuropa und Zentralasien waren die Wachstumstreiber. Wenn dort Kapital abgezogen wird, halten die globalen Wachstumszahlen nicht mehr." Die internationalen Institutionen flehen Europa förmlich an, die geplante Flexibilisierung des Euro-Rettungsschirms mit 440 Milliarden Euro Volumen endlich zu beschließen. Das muss aber alle 17 Parlamente der Euroländer passieren, und da hapert es gewaltig.

Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz forderte in Washington erneut viel strengere globale Regeln für die Finanzmärkte. "Diese Regulierung betrifft auch grenzüberschreitende Kapitalflüsse. Länder müssen sich dagegen wehren können." Europa und der Europäischen Zentralbank (EZB) riet er, die Inflationsbekämpfung als politisches Ziel zu vergessen. "Finanzstabilität ist für eine Gesellschaft viel wichtiger." Genau diese Stabilität wird Europa in Washington abgesprochen.

Olli Rehn räumte ein, dass sich "Europa an einem kritischen Punkt befindet". Aber er warb auch um Verständnis. "Ich kann nicht abstreiten, dass 27 Regierungen und Wahlkreise eine komplexe Sache sind." Daher geht es nicht so schnell, die Euro-Rettungsbeschlüsse vom 21. Juli umzusetzen. "Die USA sind wie ein Flugzeugträger. Europa ist eher ein Schiffs-Konvoi, bei dem es nicht so einfach ist, alle in dieselbe Richtung zu drehen." Genau diese Zeit - so der Tenor - hat Europa aber nicht mehr. Dazu treffen zu viele negative Faktoren zusammen: schwaches Wachstum, unterkapitalisierte Banken, Verluste an den Börsen, hohe und teure Staatsschulden, steigende Arbeitslosigkeit.

Die USA machten der EU den Vorschlag, den Euro-Rettungsschirm und die Liquiditätsbeschaffung der EZB so zusammenzuspannen, dass aus 440 rund 2000 Milliarden Euro gemacht werden könnten. "Dann wäre Schluss mit der Vertrauenskrise", meinen Ökonomen. Genau das trauen sich die EU-Finanzminister aber nicht - aus Angst vor negativen Reaktionen der Bürger.

2008, als die Krise einem ähnlichen Höhepunkt zusteuerte, erklärte der Chef der US-Notenbank, die USA würden alles tun, um die Situation zu bereinigen. Die US-Schulden kletterten zwar in drei Jahren von 60 auf 100 Prozent der Wirtschaftsleistung - aber Banken und Wirtschaft wurden vor einem Kollaps bewahrt.

"In zwei Monaten wissen wir mehr", sagte der hohe Weltbank-Mitarbeiter. "Wenn die Richtung weiter nach unten geht, wird es für alle sehr, sehr schwierig." Immerhin haben die Verluste an den weltweiten Börsen laut Weltbank-Präsident Robert Zoellick Werte in Höhe von 8000 Milliarden Dollar vernichtet - das entspricht etwa 13 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung.

EU will sparen, nicht das Wachstum stimulieren

Rehn erteilte in Washington allen Forderungen nach Programmen zur Konjunktur-Ankurbelung eine Absage. "Deutschland, Holland und Österreich hätten dafür Kapazität", meinte US-Ökonom C. Fred Bergsten. "Manche Länder haben keinen Raum für Manöver", erwiderte Rehn. Andere müssten ihre Budgets konsolidieren. Die EU-weiten Sparpakete drücken jedoch das Wachstum. "Es wird bis Jahresende zum Stillstand kommen", prophezeite Rehn am Donnerstaf. "Der Ausblick ist zum Verrücktwerden, bis hin zu hohen Arbeitslosenzahlen." Aber Budgetkonsolidierung sei wichtiger als alles andere.

Der EU-Kommissar räumte ein, dass Europa in einem Polit-Dilemma stecke und Entscheidungen manchmal zu lange dauern würden. "Demokratie ist schlecht für Wachstum", nennt es der Weltbank-Manager. "Europa muss seine Entscheidungen zentralisieren, es hat ja auch die Geldpolitik zentralisiert. Und das funktioniert."

Sorgen machen sich IWF und Weltbank erneut wegen Osteuropa. Kapitalabflüsse gibt es auch dort, diese Volkswirtschaften sind eng mit Westeuropas Bankensystem - vor allem über österreichische Institute - verflochten. In Washington wird dies als Risiko gesehen - ebenso wie beim neuen europäischen Aufsichtsorgan für System-Bedrohungen, das die Politik zum Handeln aufforderte.