Zum Hauptinhalt springen

Die Welt in Rosarot oder Hellblau

Von Monika Jonasch

Wissen

Wer im Kinderbuch das Sagen hat, der zeichnet nachhaltige Bilder in kleinen Köpfen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wenn ein Kind ein Buch vorgelesen bekommt oder selbst liest, taucht es ein in diese Welt voller Bilder und Fantasien. Es folgt dem Helden auf seinen Wegen, sieht die Welt mit seinen Augen, will genau so sein wie diese Figur. Ob also Held oder Heldin die Hauptrolle spielt, traditionelle Rollenbilder und Klischees verarbeitet werden oder eine modernere Sicht auf die Welt gezeigt wird, hat durchaus Einfluss auf die kleinen Leser.

Umso schlimmer, dass immer noch ein Großteil der Hauptfiguren, vor allem in Bilderbüchern, männlich sind. Dass Klischees wie die treusorgende Mutter und der alleinverdienende Vater bedient werden. Und dass Mädchen dort immer noch am liebsten mit Puppen spielen und nur Buben wild sein dürfen.

Selbst die vermeintlich geschlechtsneutralen Tierfiguren, die vor allem im Bilderbuch derzeit Hochkonjunktur haben, werden von den "Vorlesern" als männlich interpretiert. Denn Kinderbücher folgen einer langen Tradition, von der Abschied zu nehmen, offensichtlich für alle schwer ist.Seit Ewigkeiten dominieren Bubenfiguren als Protagonisten, denn ihnen waren die aktiven Rollen vorbehalten. Mädchenfiguren hingegen werden klassisch als verinnerlicht und zurückhaltender dargestellt.

Starke Mädchen gibt es zwar schon seit Jahrzehnten, aber sie sind immer noch in der Minderheit, sogar im Fernsehen (IZI-Studie, siehe Info). Pippi Langstrumpf und Ronja Räubertochter haben die Latte hoch gelegt, aber seither hat sich nicht viel Neues getan. Das starke Mädchen bleibt lediglich ein Gegenentwurf zum wilden Jungen. Mischformen beiderlei Geschlechts gibt es kaum. Sensible Burschen werden allenfalls als Schwächlinge mit Entwicklungspotenzial gezeichnet, die letztlich doch zum Siegertypen mutieren müssen. Starke Mädchen zeigen kaum jemals Schwächen. So polarisierend ist die Welt im Kinder- und Bilderbuch.

Achtung Prinzessin!Zusätzlich ist seit einiger Zeit eine Invasion der rosarot gestylten Prinzessinnen zu bemerken. Von Prinzessin Lillifee bis zu Hello Kitty! dominieren Tussis das Genre. Hauptsache rosarot, könnte man beim flüchtigen Hinsehen denken. Hauptsache Kommerz ist das, was dahintersteckt. Denn Rosa verkauft sich gut - von der Trinkflasche über die Schuhe bis zum Fahrrad: Was rosa ist, findet bestimmt seine Abnehmerin.

Schuld daran sind - womöglich - Eltern und Erzieher, die zu wenig über geschlechtsspezifische Rollenbilder nachdenken und sie ihren Zöglingen gegenüber kaum jemals thematisieren. So haben diese dem Konsumterror in Pink wenig entgegenzusetzen. Damit werden Klischees seit Generationen ungefragt weitergegeben. Kleine Mädchen fühlen sich in Rosa einfach wohler? Logisch, wenn alle anderen Mädchen in ihrer Umgebung dieser Vorgabe folgen.

Und Pippi? Die kommt leider erst im Lesealter. Bis dahin ist es aber ein weiter Weg und die Erkenntnis, was ein Bub oder Mädchen ist, wie er oder sie sich benimmt, die erwerben die Kleinen viel früher - und das ist später kaum noch zu korrigieren.

Starke Burschen

Aber auch die Buben haben es heute nicht leicht. Konnte man Anno Dazumal noch hemmungslos mit Tom Sawyer und Huckelberry Finn durch die Wildnis streifen oder über die Scherze von Michel aus Lönneberga lachen, so hat sich die Welt weitergedreht. Wild sein, Streiche spielen, davonlaufen - alles nicht mehr so einfach in einer allzu geordneten Welt. Brav und angepasst wollen sie Eltern und Erzieher haben - aber wie kommt dieser Zwiespalt im Kinderbuch rüber? Gar nicht. Es sei denn, man bedient sich bei den Klassikern.

Augustine wird 40. Und dann feiert ein Bilderbuch den vierzigsten Geburtstag: "Die dumme Augustine" von Ottfried Preußler. Und man sitzt als Eltern davor und staunt, wie unverkrampft damals die Emanzipation Eingang ins Bilderbuch fand, mit wenigen Worten, einfachen Bildern, ohne erhobenen Zeigefinger, ganz einfach.

Und was wurde eigentlich aus "Das kleine Ich bin ich" von Mira Lobe? Auch schon 40! Die Identitätssuche des kleinen Ich bin ich ist zeitlos und nach wie vor für kleine Köpfe ein interessanter Denkanstoß. Es ist eben ein Tier wie kein anderes, etwas ganz Eigenständiges - und das ist einfach wunderbar. Dieses kleine Wesen führt eindrucksvoll vor, dass es weder männlich noch weiblich sein muss, um eine Erfolgsgeschichte zu sein und seit vier Jahrzehnten zu unterhalten.

Vorbild Eltern

Was sich daraus lernen lässt? Kinderbücher, vor allem Bilderbücher, halten sich ewig, werden sie doch von Generation zu Generation weitergegeben. Wer vorliest, bestimmt, was vorgelesen wird. Das ist die gute und die schlechte Nachricht zugleich. Denn sowohl Gutes wie auch Schlechtes aus dem Bilderbuch-Genre werden so, meist ohne viel Nachdenken, weitervererbt.

Was man da genau in die Kinderköpfe pflanzt, diese Überlegung wäre aber enorm wichtig. Auch wenn man den "Struwwelpeter" als Kind selbst schadlos überstanden hat, auch wenn man hunderte Prinzessinnengeschichten inhaliert hat und sich bei "Hatschi Bratschis Luftballon" nicht gefürchtet hat - Nebenwirkungen zeigen sich halt oft erst viel später.

Binäre Schablone

Mädchen oder Bub, rosa oder hellblau, passiv oder aktiv, Prinzessin oder Kämpfer - wer die Welt auf die Zweipoligkeit der Geschlechter festlegt und so Kindern erklären will, gerät sicher bald in Nöte. Denn das Leben ist mehr als entweder/oder, oft sowohl/als auch und manchmal eben auch weder/noch.

Bilderbücher, Kinderbücher, Jugendbücher, Fernsehen, Kino - das alles sind wichtige Wegbegleiter. Unkommentiert sollten sie nicht bleiben, sind die kommerziellen Interessen dahinter doch enorm.

Je kleiner die Kinder sind, umso eher suchen sie Orientierung, wollen an die Hand genommen werden, Erklärungen bekommen. Sie müssen erst lernen, mit Grauzonen zu leben, das friedliche Nebeneinander von Ideen zu akzeptieren. Eine binäre Schablone ist da wenig hilfreich. Also: Bub oder Mädchen - egal, Hauptsache gesund, für kleine Köpfe!

Artikel erschienen am 20. April 2012 in: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal", S. 16-17

Info:

Studie zur Geschlechterdarstellung im Kinderfernsehen: www.izi-datenbank.de; Karin Haller: Von Marsmädchen und Jupiterjungs. Zur Gender-Perspektive in der Kinder- und Jugendliteratur. www.jugendliteratur.net/downloads.html; Ralf Schweikart: Ein Bild von einem Mann. Über Jungs als Leser und was zu Lesen für Jungs. www.sikjm.ch/d/pdf/vortrag_schweikart.pdf