Weltbank-Ökonom Burns: Krise der Eurozone trifft auch Entwicklungsländer.
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"Wiener Zeitung":
Sie haben soeben den Bericht über das globale Wachstum präsentiert. Wie dramatisch ist die Revision der Prognose?Andrew Burns: Die Lage unterscheidet sich stark von Juni 2011. Die Welt hat sich seit unserem letzten Bericht verändert und ist verwundbarer geworden. Die fiskalischen Probleme in Europa haben sich verschärft, die Turbulenzen haben auch die Entwicklungsländer angesteckt: Für diese haben wir die Prognose für 2012 von 6,2 auf 5,4 Prozent revidiert. Das wäre die schlechteste Wachstumsrate eines ganzen Jahrzehnts, wenn man 2009 ausklammert.
Für die Industriestaaten mit hohem Einkommen erwarten wir nun nur noch 1,4 Prozent statt 2,7 Prozent und für die Eurozone gehen wir von minus 0,3 Prozent aus - da hatten wir im Juni noch ein Plus von 1,9 Prozent erwartet.
Was erwarten Sie: Wird Europas Schuldenkrise weiter eskalieren?
Unser Basisszenario geht von keiner signifikanten Verschlechterung in Europa aus. Unsere Einschätzung ist, dass die Verantwortlichen bedeutende Schritte gemacht haben und falls nötig machen werden. Wir haben aber auch zwei Szenarien berechnet, falls die Dinge schlechter laufen.
Wie sehen diese aus?
Wir spielen eine Reihe von Schocks durch - von einer harten Landung, weil sich in China und Brasilien das Wachstum abgeschwächt hat, bis zu Turbulenzen im Ölmarkt wegen der Entwicklungen im Mittleren Osten, Nordafrika und am Persischen Golf oder zur Möglichkeit, dass der Bankensektor in Entwicklungsländern unter Stress kommt.
Für Europa gibt es zwei Simulationen, die eher als Denkvariante denn als Prognose zu sehen sind. Erstens: Ein oder zwei kleinere Länder werden vom Kapitalmarkt ausgeschlossen, was die Wirtschaftsleistung stark einbrechen lässt - dort und anderswo. Das würde mindestens einen Einbruch um zwei Prozentpunkte für die Entwicklungsländer bedeuten. Deren Wachstum würde also auf 3,2 bis 3,3 Prozent sinken.
Sollte gar eine Reihe größerer Volkswirtschaften vom Kapitalmarkt ausgeschlossen werden, hätten wir eine sehr ernste Krise. Das würde das Wachstum der Entwicklungsländer fast um 4,5 Prozent reduzieren.
Das klingt dramatisch. Warum würden die Entwicklungsländer so hart getroffen?
Ich möchte betonen: Das sind nicht Erwartungen, sondern Kalkulationen, um die Größe des möglichen Problems und der Verletzlichkeit der Entwicklungsländer zu verstehen. Ihr Wachstum wäre betroffen, weil der Handel schrumpft, weil negative Vertrauenseffekte die Investitionen und den Konsum schrumpfen lassen.
Die Rohstoffpreise würden sinken - der Preis für Öl, aber auch Metalle und Mineralien könnte bis zu 20 Prozent fallen, was die Entwicklungsländer abermals unter Druck bringt. Und all das in einer Situation, in der alle Länder verglichen mit 2008 und 2009 viel weniger Munition haben, um die Krise zu bekämpfen.
Was können Regierungen dann tun, um die Krise einzudämmen?
Entwicklungsländer können wenig tun, um das zu verhindern, aber viel, um die negativen Folgen zu dämpfen. Wenn die Krise eskaliert, würde die Risikoscheu noch zunehmen. Es würde also weniger Finanzierungen geben. Regierungen und Firmen, die den Kapitalmarkt in den nächsten sechs Monaten oder im nächsten Jahr anzapfen müssen, sollten das jetzt tun, wenn die Bedingungen noch relativ gut sind, damit sie nicht später gezwungen sind, ihre Ausgaben zurückfahren zu müssen, was den Abwärtszyklus verschärfen würde. Länder, die unter Druck sind, sollten ihre Ausgabenpläne genau überprüfen und Prioritäten setzen.
Die Staaten sollten auch rigorose Stresstests für ihre Banken durchführen. In den letzten zehn Jahren habe diese in den Entwicklungsländern stark expandiert. Die Abschwächung könnte sie stärker unter Druck bringen, auch wenn diese Banken in der Regel relativ robust sind.
Zuletzt haben große Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien das globale Wachstum angeführt. Tun sie das künftig nicht mehr?
Sie führen das Wachstum weiterhin an, wuchsen aber schon 2011 langsamer als 2009 und 2010. Es besteht die Gefahr, dass mehrere Entwicklungen unglücklich zusammenfallen. Die Abschwächung in den Schwellenländern wäre teils sogar wünschenswert, weil es großen Inflationsdruck und Anzeichen von Spekulationsblasen in Brasilien oder China gab. Wenn Europa zur gleichen Zeit in eine Rezession tritt, könnten sich die beiden Effekte verstärken und zu einer harten Landung führen. Das ist nicht das Basisszenario, aber ein Risiko.
Osteuropa ist für Österreich natürlich von besonderem Interesse. Wie sieht Ihr Ausblick aus?
Die Story in Europa und Zentralasien ist wie immer gemischt. Das Wachstum der Türkei etwa, die 2011 um 8,2 Prozent wuchs, wird sich auf unter 3 Prozent verlangsamen. Die Gesamtregion wird nach unserer Erwartung 2012 um 3,3 Prozent wachsen - das ist bedeutend weniger als 2011 mit 5,3 Prozent, aufgrund der engen Vernetzung mit Europas hoch entwickelten Industriestaaten aber nachvollziehbar.
Die Verbindung über die Banken ist Teil der Verwundbarkeit dieser Region. Sie kennen sicher die regulatorischen Auflagen in Österreich, die die Kreditvergabe der Banken beeinflussen könnten.
Die Aufsicht will das Kreditwachstum der Banken in Osteuropa bändigen und an die lokalen Spareinlagen koppeln. Könnte das zu einer Kreditklemme führen?
Das hängt von der Umsetzung ab. Europas Bankensektor muss Risiken abbauen, Kapital aufbauen und vermehrt Bilanzvorsorgen treffen: All das könnte die Kreditvergabe an den privaten Sektor beeinflussen. In Osteuropa und Zentralasien ist das Problem verschärft, weil die Länder stark von Krediten von Banken der Industrieländer abhängig sind. Deshalb gibt es auch eine Lücke zwischen Spareinlagen und Krediten.
Wie wird es 2012 den ärmsten Ländern gehen?
Es gibt gute und schlechte Nachrichten: Die Nahrungspreise sind etwas gesunken. Die negative Seite ist weniger Wachstum: Am wichtigsten im Kampf gegen Armut sind schließlich steigende Einkommen. Einige der ärmsten Länder Afrikas können sich aber vom globalen Trend entkoppeln und wachsen stärker, was primär an Rohstoffinvestments liegt.
Die Weltbank
Der Kanadier Andrew Burns ist führender Ökonom der Weltbank und Hauptautor des Berichts über das globale Wachstum, der am Dienstagabend in Washington (Ortszeit) vorgestellt wurde. Darin sieht die Organisation gravierende Folgen der Krise in Europa für die Entwicklungs- und Schwellenländer. "Eine weitere Eskalation würde niemanden verschonen", so Burns. "Die Wachstumsraten für die Industrie- und Entwicklungsländer könnten so stark oder stärker als 2008/2009 fallen."
Die 1945 gegründete Weltbank ist der größte Geldgeber für Entwicklungshilfe. Schwerpunkte sind die Förderung von Infrastruktur, Privatwirtschaft und Umweltprojekten sowie Kampf gegen Armut und Krankheiten.