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Die Welt von heute

Von Thomas Seifert

Analysen

Medienschelte und eine literarische Warnung des russischen Botschaftsrats Wladimir Kruschkow.


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Russland fühlt sich unverstanden, sagt Wladimir Kruschkow, Botschaftsrat in Wien und Leiter der Abteilung für Außenpolitik. Denn der Westen bastle schon länger an einer "Feindbildpolitik" - etwa mit der "hysterischen Kampagne" zugunsten der Frauen-Punk-Band "Pussy Riot", die mit ihrem Auftritt in einer wichtigen Moskauer Kirche nicht nur die Gefühle orthodoxer Russen verletzte, sondern auch areligiöse Russen auf die Palme brachte. "Stellen Sie sich vor, die drei Mädchen hätten das in einer Moschee gemacht. Nicht auszudenken, was dann passiert wäre", sagt Kruschkow und verweist darauf, dass die Mitglieder der Band mittlerweile amnestiert wurden. Danach sei versucht worden, die Olympischen Winterspiele in Sotschi schlechtzumachen, die aber letztlich sehr gut gelaufen seien. All das sei aber aus der Sicht Moskaus nur das Präludium gewesen: Mit der Verschiebung der Unterzeichnung des EU-Ukraine-Assoziierungsabkommens durch den damaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch habe sich die westliche Propaganda gegen Russland weiter verschärft. Kruschkow setzt zu einer Medienschelte an: "Die Gorbomanie, die Jelzin-Manie der Vergangenheit wurde in den westlichen Medien durch eine Putin-Phobie ersetzt." Ein Foto im "Standard", das Putin mit Hitlerbärtchen zeigt, findet Kruschkow ebenso inkriminierend wie eine Illustration zu einem Essay in der "Wiener Zeitung". "Es ist bemerkenswert, die Arbeit der Medien und das Echo der Leser zu analysieren. Die Leserforen in den Medien - Russland betreffend - seien zurzeit viel interessanter und manchmal informativer als die Massen-Medien selbst", sagt Kruschkow.

Diese Medienschelte ist betrüblich und wohl auch ungerecht: Die Qualitätspresse hierzulande ist sehr bemüht, eben nicht in die Propagandafalle zu tappen. Und gerade was die Ukraine und Russland betrifft, sitzen in den wichtigsten Redaktionen äußerst kundige Fachjournalisten, die ein differenziertes Bild des Konfliktes zeichnen und die Krisenregion wiederholt bereist haben. So hat etwa die "Wiener Zeitung" (und nicht nur diese) immer wieder vor dem Extremismus des "Rechten Sektors" in der Ukraine gewarnt. Plus: Wenn das, was -sterreichs Qualitätsmedien berichten, Propaganda ist, was ist dann erst das, was in einigen staatlichen russischen Medien derzeit geboten wird? Informations-Krieg?

Was Russland westlichen Journalisten allenfalls zu Recht vorwerfen kann, ist, die EU--ffentlichkeit Ende 2013 nicht umfassend über Moskaus Kritik an einigen Punkten des Abkommens informiert zu haben (vor allem betreffend der Harmonisierung der Sicherheitspolitik der Ukraine mit jener der EU). Für eine hellsichtige Analyse schadet es auch nicht, dass Journalisten Verständnis dafür haben, dass auch Russland legitime Interessen in der Ukraine verfolgt. Aber das ändert nichts daran, dass Russlands Politik vis-à-vis der Ukraine nicht nur Kiew, sondern auch Minsk sowie Warschau, Berlin, Wien und Brüssel Angst macht. Denn auch die Präsidentenwahl am 25. Mai wird aus Sicht Moskau keine Klärung bringen: Die Wahlen werden nicht legitim sein, sagt Kruschkow, "da es keine Meinungsfreiheit gibt und Kandidaten aus den Ostregionen eingeschüchtert würden". Kruschkow nennt in seinen Ausführungen vor Journalisten und Russland-Interessierten Stefan Zweigs "Die Welt von gestern" ein "aktuelles" Buch. In Zweigs Meisterwerk legt sich bereits die Dämmerung über "Das goldene Zeitalter der Sicherheit", das in Wien vor dem Ersten Weltkrieg geherrscht hat. "Die Welt scheint harmlos, oft rührend und naiv, noch sind nicht Dämonen, noch scheinen Genien am Werke", schrieb der Rezensent der "Zeit" nach dem Erscheinen 1946. Doch "dann", so liest Kruschkow Zweigs Warnung: "(...) in nur wenigen Monaten - entstand eine Hass-Atmosphäre zwischen ehemaligen Freuden". Dieser Prozess hat in der Ukraine längst begonnen.