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Die Welt von morgen

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

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Zu behaupten, die Zukunft sei prinzipiell unsicher, grenzt an eine Banalität. Das Problem ist, dass sich das für unsere Zeit als Untertreibung herausstellt. "Niemand hat je zuvor in einer Welt mit so engen Verflechtungen gelebt", schreibt der renommierte britische Soziologe Anthony Giddens in seinem jüngsten Buch, das er der Zukunft Europas gewidmet hat ("Turbulent and Mighty Continent - What Future for Europe?", Oktober 2013, Polity).

Giddens geht davon aus, dass die angenehme Vorstellung, nach der Krise erwarte uns die liebgewonnene alte Stabilität, ein fataler Trugschluss ist: Was war, ist vorbei - die Zukunft wird aus einem gänzlich anderen Holz geschnitzt sein. Hauptverantwortlich dafür sind die beiden Hauptkräfte, die in der Gegenwart keinen Stein mehr auf dem anderen lassen - Globalisierung und Digitalisierung.

Das hat Folgen nicht nur für die Realität, in der wir leben und arbeiten, sondern auch für die Theorien, mit denen wir diese verstehen wollen. Gut möglich, dass in der Debatte zwischen Keynesianern und Austeritätsanhängern, die Europa seit Ausbruch der Krise im Kreis treibt, gar keiner recht hat. Ganz einfach, weil die ökonomischen Grundlagen und Zusammenhänge, auf denen diese Theoriegebilde aufbauen, in der Welt von heute und morgen nicht mehr gelten.

Wir sind ganz offensichtlich nach wie vor weit davon entfernt, das Ausmaß zu begreifen, wie Globalisierung und Internet unseren Alltag und das Wirtschaftsleben verändern. Und laut Giddens könnte dieser Transformationsprozess sogar erst ganz an seinem Anfang stehen.

Was das bedeutet, liegt auf der Hand: Dauerstress, und zwar für Menschen wie Institutionen, weil alles einem ständigen Veränderungsprozess unterworfen ist. Führt man sich dies vor Augen, beginnt man zu begreifen, warum manche Experten davon überzeugt sind, dass künftig Krisen zu einem Teil unserer Normalität werden dürften.

Erfahrungen aus der Welt von gestern wären dann nicht länger ein Wert an sich, aus dem man praktischen und ökonomischen Nutzen ziehen kann, sondern eine Belastung, die einen daran hindert, sich völlig frei auf das unbekannt Neue einzulassen.

Insgesamt also eine vielleicht realistische, aber ziemlich beunruhigende Zukunftsvorstellung.