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Die Wende

Von Reinhard Göweil

Leitartikel

Nach einer fast dreimonatigen Schockstarre haben sich Europas Regierungen endlich auf jenen Schutzschirm geeinigt, der den Finanzmärkten die Lust nahm, gegen den Euro anzukämpfen. Wenn das Hilfspaket, das am Wochenende aus dem Boden gestampft wurde, schon im März geschnürt worden wäre, hätte es etwa die Hälfte gekostet. Warum also so spät?


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Es war vor allem die deutsche Regierung, die lange auf der Bremse stand. Die Wahl in Nordrhein-Westfalen wurde als wichtiger erachtet, und die ursprüngliche Griechenland-Hilfe war bei der Bevölkerung umstritten. Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben - das stimmte auch hier: Am Ende gab es die Hilfe doch, und CDU/FDP wurden bei der Wahl böse abgestraft.

Doch ein halbleeres Glas ist auch ein halbvolles, und daher gilt auch für den enormen Schutzschirm: besser spät als nie. Diese Krise hatte etwas Reinigendes. Denn nach dieser Lösung bleibt der EU gar nichts anderes mehr übrig, als den Weg der gemeinschaftlichen Lösungen weiterzugehen. Wer mehr als 700 Milliarden Euro aufwendet, um die Währungsunion zu retten, ist so aneinander gekettet, dass jede Rückkehr zu nationalstaatlichen Entscheidungen desaströse Auswirkungen hätte.

Nun müssen die Euroländer, ob sie wollen oder nicht, ihre Wirtschaftspolitik eng aufeinander abstimmen. Nun müssen die Euroländer ihre Budgets in Ordnung bringen. Nun müssen die 16 Euroländer ihre Wirtschaftsstruktur so angleichen, dass alle leben können: Nördlich der Alpen wird der Schwerpunkt auf Stärkung des privaten Konsums liegen, südlich davon wird es um Kosteneffizienz und Wettbewerbsfähigkeit gehen. Egal, wer gerade wo regiert.

Die EU hat am Ende bewiesen, dass ihr eine Zukunft als global agierende Gemeinschaft lieber ist als eine Zukunft von idyllischen, aber bedeutungslosen Zwergerl-Staaten. Nur so wird es möglich sein, den Wohlstand des Kontinents zu erhalten.

Was an diesem Wochenende der langen Nächte passierte, markiert den Wendepunkt in der europäischen Politik. Ob die Politiker aus nackter Verzweiflung oder schöner Überzeugung so entschieden haben, wird in zehn Jahren jedem egal sein. Dann wird die EU mehr "Vereinigte Staaten von Europa" sein als eine bloße Freihandelszone. Denn wer verliert schon gerne 720 Milliarden Euro?