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Die Wende ohne Wende

Von Kliment Hristov

Europaarchiv

Putsch innerhalb der Landes-KP. | Geschichte der Unterdrückung. | Sofia. (apa) Die meisten Bulgaren werden die Bilder, die sie noch am Abend des 10. November 1989 im Fernsehen sahen, nie vergessen: Der 78-jährige bulgarische Staats- und KP-Chef Todor Schiwkow in sich zusammengesunken und schweigend ins Leere blickend. Er wirkt fassungslos. Nach 35 Jahren an der Macht ist er gestürzt worden. Im Gegensatz zu anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks geschah dies aber nicht durch den Druck der Bevölkerung: Schiwkow wurde nach einem internen Parteiputsch abgesetzt.


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Wenn es über den Sturz Begeisterung gab, so wurde sie nicht offen zur Schau getragen. Die Bulgaren hatten ihre Erfahrungen gemacht mit der kommunistischen Staatssicherheit. Ihr Land kannte keinen Prager Frühling, zu dessen Niederschlagung Schiwkow bereitwillig bulgarische Truppen entsandt hatte - und hatte auch nicht den Aufstand geprobt wie die Ungarn. Auch unabhängige Gewerkschaften wie in Polen die Solidarnosc (Solidarität) hatten sich nicht gebildet.

Die bulgarische "rote Diktatur" orientierte sich stark an der sowjetischen Revolutionserfahrung nach stalinistischem Vorbild. Sie baute den Staat drastischer um als die Parteigenossen in Mitteleuropa und entledigte sich rasch der Grundlagen für jeden Widerstand. Oppositionellen wurde wegen Verrats der Prozess gemacht, Intellektuelle, Professoren und Lehrer wurden entlassen, Offiziere ersetzt und Geistliche verfolgt, wegen angeblicher Spionage für den Westen hingerichtet oder interniert.

Schon Mitte der 50er Jahre waren die Betriebe völlig verstaatlicht, die bulgarische Landwirtschaft in Produktionsgemeinschaften organisiert. Auch in den 60er Jahren wurde der Protest im Keim erstickt. Zarte Anfänge gab es erst im Wendejahr, die Proteste der bulgarischen Türken, die sich gegen die Zwangsassimilierung wehrten, blieben vom Westen nicht unbemerkt.

Kein großer Jubel

Argwohn spiegelte sich auch in den Gesichtern jener Menschen wider, die sich nach dem Sturz Schiwkows in den grauen Novembertagen des Jahres 1989 auf die Straße wagten. Von Jubel keine Spur, vielmehr gezähmter Groll, der durch die Städte wogte. Vorsicht war immer das oberste Gebot, niemand traute der Miliz und der weiterhin regierenden Kommunistischen (später Sozialistischen) Partei so recht.

Fast ein Jahr später sahen sich die Demonstranten bestätigt: Ein Video zeigte den neuen kommunistischen Staatschef Petar Mladenow, der angesichts einer Großkundgebung vor dem Parlament in Sofia sagte, "besser, wenn die Panzer kämen". Und die Sorge, dass die alten Machthaber auch die neuen sein würden, hat sich für viele bewahrheitet.