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Das Musterbeispiel für gelungene Integration hat auch Schattenseiten.
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Wien. Der Yppenplatz wird mehr und mehr zum Synonym für Weltoffenheit und gelungene Integration. Dieses Flair zieht vor allem junge Kreative an. Was viele nicht wissen: Die Wohnsituation vieler ursprünglicher Anrainer rund um den Yppenplatz ist nach wie vor prekär und zusätzlich durch Lärmbelästigung durch das junge Partyvolk belastet.

Das hellblaue Eisentor erinnert eher an eine Garageneinfahrt als an ein Wohnhaus. Eine türkische Aufschrift prangert auf Augenhöhe, umsäumt von vielen weiteren Warnschildern, die alle darauf verweisen, dass die Einfahrt verboten ist. Durch den dunklen Hausgang gelangt man in einen Innenhof und dann zu einem weiteren Haus im Hinterhof. Lautes und ausgelassenes Kindergeschrei hallt durch das Haus.
"Als ich damals hier ankam, hatte ich keine Ahnung, was mich erwartet", sagt die 26-jährige New-Yorkerin Hellen, die für ein zweimonatiges Praktikum nach Wien und auf den Yppenplatz gezogen ist. Ihre hofseitig gelegenen Fenster machen sie zur Zeugin des täglichen Lebens von Migranten, die nicht zur hippen Yppenplatz-Szene gehören.
Schon an ihrem ersten Abend wurde es spannend, als ein junger Mann aus dem gegenüberliegenden Haus von seinem Fenster aus lauthals nach der Polizei rief. Als diese dann vor Ort war, klärte sie die Situation auf. Einige Wochen später verfolgte Hellen einen Streits zwischen drei Männern, deren Sprache sie nicht verstehen konnte. Auch diese Situation musste von der Polizei aufgelöst werden.
Während am Abend besonders junge Männer immer wieder für Aufsehen sorgen, sind es tagsüber die Kinder. "In New York hält sich ein konstanter Geräuschpegel, an den man sich gewöhnt. Hier hört man dafür jeden Einzelnen rumschreien, und das stört viel mehr."
Dort, wo die Mülltonnen stehen, haben sich einige Kinder ihren eigenen Spielplatz geschaffen. Durch die Risse im asphaltierten Innenhof sprießt bereits das Unkraut. Vorbei an den Mülltonnen und ausrangierten Möbeln jagen ein etwa Dreijähriger und zwei Schulkinder einen Hundewelpen quer durch den kleinen Innenhof. Sperrmüll, Fahrräder und rostige Nägel, die bedrohlich aus maroden Holzlatten emporragen, bilden die Hindernisse werden von den Kindern in ihr Jagdspiel eingebaut. Ihre Stimmung ist euphorisch, sie scheinen alles um sich herum zu vergessen. Als eine junge Frau ihr Fahrrad abstellt, wirft sie den Kindern mitleidige Blicke zu. "Ich verstehe nicht, wieso die älteren Geschwister nicht in einen Park mit ihnen gehen oder auf einen Spielplatz", sagt die blonde Mittzwanzigerin.
Sie wohne seit zwei Jahren in dem Haus und sei eigentlich sehr zufrieden. Ihre Einzimmer-Wohnung im Hinterhaus ist gepflegt und aufgeräumt. Sie bezeichnet sich als "echten Hippie" und eine hoffnungslose Optimistin, während sie sorgfältig einen Bio-Fairtrade-Kaffe mit Sojamilch zubereitet. Die Kinder würden sie schon stören, aber es seien eben Kinder. Dafür liebe sie es, die Abende am Yppenplatz zu verbringen. Neben ihrem Psychologiestudium realisiert sie Kunstprojekte im öffentlichen Raum. Das Zusammenleben mit den Nachbarn klappe "eigentlich sehr gut".
"Was am Samstag zu sehen ist, ist Konsum-Multikulti"
Skeptischer sieht es Michael, der 30 Jahre alt ist und seit vier Jahren in einer Substandard-Wohnung im Erdgeschoß wohnt. "Ich denke nicht, dass hier Integration stattfindet. Was am Samstag auf dem Markt zu sehen ist, ist vor allem Konsum-Multi-Kulti. Ich habe hauptsächlich mit Leuten zu tun, die so sind wie ich, und das gilt wohl für die meisten." Vor allem in den letzten Jahren haben sich im Haus viele WGs gebildet, die ein ständiges Kommen und Gehen von Menschen fördern, sodass man einander nicht mehr kennt. Er selbst könne es sich nicht leisten, öfter als zwei Mal im Monat am Yppenplatz etwas trinken zu gehen.
Dieses Problem scheinen die vielen Besucher am Yppenplatz kaum zu kennen, denn wenn es das Wetter zulässt, platzen die Lokale, die internationale Küche anbieten, aus allen Nähten. Zu hören ist ausschließlich Deutsch und Migrationshintergrund scheinen höchstens die Kellner zu haben. Anders sieht es in den traditionellen türkischen Restaurants aus, die nur wenige Gehminuten entfernt am Brunnenmarkt aufzufinden sind. Dort treffen sich vor allem ältere türkische Männer oder ihre Familien.
Jüngere Migranten verschiedener Herkunft bevorzugen als Treffpunkt den inneren Teil des Yppenplatzes, auf dem sich einige Bänke befinden. Dort trinken sie Ottakringer aus der Dose, rauchen und fluchen lautstark. Gemeinsam treten die drei Gruppen den Heimweg an - und da wird mehr oder weniger laut diskutiert, gestritten gelacht oder geweint.
"Das Schlimmste sind nachts die Betrunkenen"
Die Wohnungstür im dritten Stockwerk ist tagsüber grundsätzlich offen, so als würde die Familie jederzeit mit Besuch rechnen. Der Geruch nach gebratenem Gemüse durchdringt um die Mittagszeit regelmäßig das ganze Haus. Am Herd steht die 15-jährige Tochter, während ihre Mutter sich um den Hausputz kümmert. Die zusammengewürfelte Küche liegt direkt im Eingangsbereich, von dem es direkt in das aufgeräumte Wohnzimmer geht. Lindgrüner Teppich, Fernseher, und ein ausklappbares Sofa sowie eine Lampe in Blumenform bilden die Ausstattung. Sehr sauber, aber bescheiden. Die zehnjährige Özlem übernimmt für ihre Mutter das Reden, da diese kein Deutsch spricht: "Wir leben hier zu sechst und müssen auf dem Boden schlafen. Die Wohnung ist viel zu klein. Aber das Schlimmste sind die Betrunkenen nachts. Im Sommer ist es so heiß, dass wir die Fenster offen lassen müssen. Wir haben hier überhaupt keine Ruhe."
Als Hellens Aufenthalt nach zwei Monaten zu Ende geht, hat sie keine Bekanntschaften im Haus geschlossen, der Abschied fällt ihr leicht. Ein letzter kurzer Drink auf dem Yppenplatz und am Morgen danach der unsentimentale Abschied. Dieselben Kinder spielen im Hof, sie werfen ein Fahrrad um, was sie nicht weiter kümmert. Im Treppenhaus eine letzte Begegnung mit Özlem aus dem dritten Stock, die angesichts der Koffer gleich zur Sache kommt: "Kennen Sie nicht eine Gemeindewohnung mit drei Zimmern? Wir wollen hier unbedingt ausziehen."