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Die wichtigste Nebensache der Welt

Von Brigitte Suchan

Reflexionen

Wer welche Schuhe trägt, lässt Rückschlüsse auf sein Wertesystem zu, das legt zumindest eine Studie der Österreichischen Schuhwirtschaft nahe. So weit würde ich nicht gehen, aber dass Schuhe - schöne Schuhe wohlgemerkt - glücklich machen, das ist gewiss.


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Unlängst mit einer Freundesrunde in Italien. Sightseeing und Schlemmen steht auf dem Programm, die weiblichen Mitglieder dieser fröhlichen Runde wollen nicht nur Fufluns, dem etruskischen Weingott, opfern, sondern auch die italienische Wirtschaft beleben - und shoppen. Vornehmlich Schuhe und Handtaschen, versteht sich, weil edle Kreationen findet die Eingeweihte auch im hintersten Winkel von Berlusconi-Land. Männliches Unverständnis macht sich breit angesichts der Entzückensschreie ob einer erspähten dunkelblauen Lederhandtasche im Kelly-Bag-Stil zum Schnäppchenpreis. Muss man wirklich erklären, was eine Kelly-Bag ist und zu welchem Preis ein Original aus dem Hause Hermès gehandelt wird? Der Vortrag zum Thema Gesamtkunstwerk Schuhe kommt auch nicht so recht an. "Wer braucht schon mehr als drei Paar Schuhe?", fragt die Männerrunde erstaunt. Ein paar braune und/oder schwarze und Sportschuhe - damit kommt der Durchschnittsmann ein Leben lang über die Runden. Und die Frage welches Paar zu welchem Outfit und welche Handtasche dann dazu passt - ist eben typisch weiblich.

Dass die Evolution in Sachen Accessoires die Männerwelt links liegen lassen hat, ist gerne zitierter Beleg für die Existenz des kleinen Unterschieds. Das beweisen auch alle Studien

und Umfragen zum Thema. Die deutsche Durchschnittsfrau besitzt mehr als 25 Paar Schuhe, der Sammeltrieb des männlichen Geschlechts konzentriert sich eher auf die Trägerinnen. Oft wird versucht, dem Schuh-Faible mancher Frauen etwas Zwanghaftes anzudichten. Nach Einschätzung von Psychologen sind viele Frauen dem Schuhrausch verfallen, weil sie sich mit Hilfe von Schuhen verwandeln können: vom patenten "mit-mir-kannst-Du-Pferde-stehlen"-Typ in flachen Sneakern zum verführerischen Luxusgeschöpf in Stilettos. - Den erotischen Nutzwert vom Tragen von High Heels hat übrigens 2008 die Urologin Maria Angela Cerruto von der Universität in Verona untersucht. Dabei stellte sich heraus: Die Haltung der Füße in Stilettos kräftigt den Beckenboden und verbessert die Kontraktionsfähigkeit der Muskulatur. So verbessert sich Schritt für Schritt die Orgasmusfähigkeit und frau beugt auch noch Inkontinenz vor. -

Die Verwandlungs-Theorie ist allerdings nur schwer in Einklang zu bringen mit jener Umfrage, die das Institut Karmasin für die Initiative Österreichische Schuhwirtschaft vor kurzem durchgeführt hat. Demnach stellten die Befragten einen Zusammenhang zwischen Schuhwerk und Gesinnung des Trägers her. Der Umfrage zufolge stehen beim Schuhkauf für die Österreicher insgesamt primär Gesundheit und Wohlfühlen im Vordergrund: 41 Prozent achten bei der Wahl ihrer Schuhe auf gesundheitliche Überlegungen, für 35 Prozent ist die modische Orientierung ausschlaggebend. 33 Prozent legen besonderen Wert auf Schuhe, die Sportlichkeit und Fitness fördern, 19 Prozent achten auf die regionale Herkunft und nur 18 Prozent auf Nachhaltigkeit im weitesten Sinn wie z.B. umweltfreundlich gegerbtes Leder oder faire Herstellungsbedingungen.

Unberücksichtigt blieb allerdings die Möglichkeit, dass Testperson A, weiblich, jeden Tag andere Schuhe trägt und Testperson B, männlich, überhaupt nur drei Paar Schuhe besitzt.

Natürlich lesen sich Erklärungen zum Schuhfimmel von Frauen wie jene des amerikanischen Stardesigners Stuart

Weitzman lustig. Er meinte in einem Interview mit dem Frauenmagazin "Brigitte": "Kleine Mädchen wachsen mit Geschichten über Schuhe auf: Aschenputtel findet ihren Prinzen durch einen Schuh, Dorothy im "Zauberer von Oz" findet mithilfe magischer Schuhe den Weg nach Hause - Schuhe sind in diesen Geschichten Symbol für Stärke und Liebe. Und bis ein Mädchen eine erwachsene Frau ist und sich selber Schuhe kaufen kann, hat sie das so verinnerlicht, dass sie offenbar verloren ist…"

Doch die Lösung des Rätsels ist denkbar einfach: Zu Hosen passen andere Schuhe als zu Röcken oder Kleidern. Man multipliziere diesen Faktor x mit unbekannten Größen wie Jahreszeiten, Farben, Anlässe und Launen und kommt auf mindestens 25 Paar Schuhe. Oder?

Statussymbol. Seit der Steinzeit dient Schuhwerk dem Schutz der Füße vor Kälte oder rauem Untergrund, aber es entwickelte sich schnell auch zum Statussymbol, das anzeigte, welchen Rang der Schuhträger in der Gesellschaftshierarchie einnahm. In Ägypten besaßen nur die Pharaonen das Privileg, ihre Füße mit gold- oder silberfarbenen Sandalen zu bedecken und auch im antiken Rom verriet der Blick auf den Fuß den Stand in der Gesellschaft. Die untersten Schichten gingen barfuß. Im Mittelalter erkannte man an der Länge des Schuhs, wie wichtig eine Person war. Die damals modernen Schnabelschuhe waren angesehenes Modeaccessoire.

Die Länge der Spitze nahm je nach Bedeutung in der Gesellschaft ab. Im Frankreich des 16. Jahrhunderts wurde beispielsweise die Länge der Schuhspitze gesetzlich geregelt. Per Erlass wurde bestimmt, dass nur der Sonnenkönig Ludwig XIV. und andere Adlige rote Absätze tragen durften.

Und was anderes als ein Statussymbol sind etwa die Schuhe von Christian Louboutin, dessen Kreationen leicht an den unverwechselbaren roten Sohlen zu erkennen sind? Wären Carrie Bradshaw und ihre Freundinnen in der Kultserie "Sex and the City" (der zweite Teil des Films kommt übrigens am 28. Mai in die Kinos) ähnlich nachahmenswerte Geschöpfe, wenn sie sich in Birkenstock-Schlapfen durch den New Yorker Stadtdschungel kämpften und nicht in sündhaft teuren Manolo Blahnik Luxus-High Heels?

Wie sehr Schuhe ihre Träger faszinieren, lässt sich nicht zuletzt auch an den Lebensgeschichten der Designer ablesen. Eine so profane Berufsbezeichnung wie Schuhmacher kommt der Fashionista nur schwer über die Lippen. Der spanische Schuhdesigner Manolo Blahnik etwa entwirft seit 1972 alle Modelle selbst. Mittlerweile sind es über 11.000. Damit findet er sich in einer Liga wieder mit Salvatore Ferragamo, der mehr als 10.000 Schuhmodelle für die Stars von Hollywood im Lauf seines Lebens geschaffen hat. Für Marilyn Monroe entwarf er die legendären Sandaletten aus Krokodilleder mit elf Zentimeter hohen Absätzen, auf denen die Diva elfengleich dahinschwebte. Audrey Hepburn trug angeblich nur Ferragamo-Modelle und auch Marlene Dietrich schwor auf Mister F.

Das Faible für Schuhe und andere Accessoires diverser Berühmtheiten ist bekannt. Von Imelda Marcos oft zitierten 3000 Paar Schuhen, die von den kolportierten 10.000 Paaren, die Mariah Carey angeblich besitzt, locker übertrumpft werden, bis zu Kate Moss Handtaschenfimmel ließe sich die Liste beliebig fortsetzen. Ein berühmter Shoemaniac war etwa Andy Warhol. Seinen Lebensunterhalt verdiente sich die spätere Pop-art-Ikone in den 1950er Jahren nämlich als Illustrator für die legendäre I. Miller Shoe Company auf der Fifth Avenue in New York. Israel Miller war der führende Importeur europäischer Schuhmarken dieser Zeit. Tausende Schuhzeichnungen fertigte Warhol zu Werbezwecken an und ließ seine Mutter die Texte schreiben. Ob sein Schuh- und Fußfetischismus mit der Beschäftigung bei Miller begann oder schon vorhanden war, ist nicht bekannt.

Wen wundert's, dass Schuhe in der Kulturgeschichte immer schon eine Hauptrolle als Wunder- oder Zauberträger spielten.

Bücher

shoedesign by warhol. "Schuhe, Schuhe, Schuhe" enthält Entwürfe des Künstlers aus den 50er und 60er Jahren, als er von verschiedenen Warenhäusern den Auftrag erhielt, ausgefallene Schuhkreationen zu entwerfen. Es entstanden zahlreiche Skizzen und Zeichnungen wahrhaft phantasievoller Schuhe. Begleitet werden diese Bilder von humorvollen Zitaten oder geistreichen Aphorismen des Künstlers aus seinen Büchern und Tagebüchern.
Andy Warhol: "Schuhe, Schuhe, Schuhe"; Verlag Weingarten

Die Handtasche als Symbol. Lebensratgeber speziell für Frauen gibt es viele, doch die Idee, das Innenleben weiblicher Wesen mit einer Handtasche zu vergleichen, ist neu. Aber nicht ganz von der Hand zu weisen . . .

Laut der Autorin, Journalistin und Trainerin Christine Weiner spiegelt sich in einer Handtasche das Leben ihrer Besitzerin wider, deshalb hat sie den Inhalt symbolisch den verschiedenen Themen im Leben einer Frau zugeordnet: Da steht die Geldbörse für die Talente, die man nicht nur fördern, sondern auch zeigen soll; der Schlüsselbund öffnet Türen; das Handy steht für Kommunikation; das Notizbuch enthält alles, worauf es ankommt, und dann gibt es in jeder Handtasche noch ein Geheimnis. Und wenn man einmal den Lippenstift oder das Mobiltelefon partout nicht findet, dann soll uns das auch etwas sagen. Locker, amüsant und meistens doch tiefsinnig bietet Weiner mittels einfacher Fragen und kleiner Übungen einen unterhaltsamen Wegweiser durch die weibliche Seele, dessen stetes Augenzwinkern den Ernst der Sache nicht übertüncht. mon

Christine Weiner: "Das Leben ist wie eine Handtasche"; Knaur Verlag, 13,40 Euro, ISBN 978-3-426-65479-8