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"Die wichtigsten Fristen wurden unterbrochen"

Von Petra Tempfer

Recht

Wie es um Steuerbehörden und das Bundesfinanzgericht in der Corona-Krise bestellt ist - und wie es davor war.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Von der heftig diskutierten "langsamen Justiz" direkt in die Corona-Krise: Die Gerichtsbarkeit war schon vor der aktuell alles bestimmenden Pandemie krisengebeutelt. Inwiefern Steuerbehörden und das Bundesfinanzgericht betroffen sind und waren, erklärt der Wiener Rechtsanwalt Franz Althuber im Interview.

"Wiener Zeitung": Wie wirkt sich die derzeitige Situation rund um die Corona-Krise auf Ihre Tätigkeit im Steuer- und Finanzstrafrecht aus?Franz Althuber: Es ist derzeit zweifelsohne für alle eine schwierige und herausfordernde Situation, die wir gemeinsam durchstehen müssen und auch werden. Unser Kanzleibetrieb wurde bereits vor mehreren Wochen grundlegend umgestellt. Unsere Mitarbeiter sind angehalten, von zuhause aus zu arbeiten - bis auf einen gewissen natürlichen Effizienzverlust funktioniert das sehr gut. Interne Besprechungen und Mandantentermine finden per Telefon- oder Videokonferenz statt, und unsere Juristen haben über VPN (Virtual Private Network, Anm.) - wie auch schon bisher - vollen Zugriff auf alle Kanzleisysteme und Datenbanken. Die moderne Technik macht vieles möglich, was noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre.

Als Rechtsanwaltssozietät mit speziellen Tätigkeitsbereichen sind wir gegenüber anderen Branchen sicher privilegiert, weil unsere Arbeit nahezu unabhängig von der konjunkturellen Entwicklung ist. So gesehen läuft bei uns "business as usual", einen Umsatzrückgang können wir nicht beobachten.

Laufen derzeit anhängige Steuer- und Finanzstrafverfahren ungehindert weiter?

Die wichtigsten Fristen im Steuer- und Finanzstrafrecht, wie etwa Beschwerdefristen aber auch Revisionsfristen, wurden mittels gesetzlicher Maßnahmen bis 1. Mai 2020 unterbrochen, die jeweiligen Fristen beginnen daher ab diesem Tag von Neuem zu laufen. Abgesehen davon, dass derzeit aufgrund dieses Fristenmoratoriums kein sonderlicher Zeitdruck bei Rechtsmitteln besteht und mündliche Verhandlungen sowie persönliche Besprechungen nicht stattfinden, habe ich aber noch keine Einschränkungen des Betriebes bei Finanzämtern oder beim Bundesfinanzgericht wahrgenommen.

In der medialen Berichterstattung der Wochen vor der Corona-Krise war die Arbeitsweise der Justiz ein breit diskutiertes Thema. Wie ist Ihre Erfahrung im Bereich der Finanzverwaltung und bei Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht oder dem Verwaltungsgerichtshof (VwGH): Wird zu langsam gearbeitet und gibt es politisch motivierte Entscheidungen?

Ich bin jetzt seit rund 20 Jahren im Steuerrecht tätig und habe dabei neben Unternehmen auch viele vermögende und in der Öffentlichkeit stehende Personen beraten und vor Behörden und Gerichten vertreten. Mir sind aber bisher weder bei Finanz- oder Zollämtern noch in der Rechtsmittelinstanz politische Befindlichkeiten oder gar Einflussnahmen in die eine oder andere Richtung untergekommen. Mein Eindruck ist schon, dass hier im Großen und Ganzen sehr korrekt und sachlich gearbeitet wird.

Es ist richtig, dass beispielsweise Rechtsmittelverfahren, aber auch Revisionsverfahren vor dem VwGH, oft lange dauern. Das liegt nach meiner Wahrnehmung aber nicht am "langsamen Arbeiten", sondern am Arbeitsaufwand, der offenbar enorm ist. Das Bundesfinanzgericht veröffentlicht jährlich einen Tätigkeitsbericht. Für 2018 kann diesem entnommen werden, dass insgesamt inklusive Finanzstrafverfahren rund 14.500 neue Verfahren anhängig wurden. Im selben Jahr gab es etwa 13.300 Erledigungen des Bundesfinanzgerichtes.

Bezogen auf die Anzahl der Richter heißt das - vereinfacht gesagt -, dass jeder Richter des Bundesfinanzgerichtes pro Jahr etwa 65 Entscheidungen verantwortet hat. Davon sind zwar auch bloße Formalentscheidungen mitumfasst, es zeigt sich aber doch recht eindrucksvoll das notwendige Arbeitspensum. Darüber hinaus ist auch nicht jeder Fall gleich komplex - wenn es um reine Rechtsfragen geht, ist die Entscheidungsfindung sicherlich weniger zeitaufwendig als bei Verfahren, in denen der Sachverhalt erst im Detail aufgearbeitet werden muss.

Mit welchen finanziellen Konsequenzen kann eine lange Verfahrensdauer verbunden sein?

Schon aus psychologischen Gründen ist eine lange Verfahrensdauer für den Steuerpflichtigen oft zermürbend, weil permanente Rechtsunsicherheit besteht. Auch die notwendigen Beratungs- oder Vertretungskosten, die dem Steuerpflichtigen entstehen, können - gerade bei komplexen Verfahren - enorm sein. Einen Kostenersatz bei Obsiegen gibt es dabei, anders als etwa in Zivilprozessen, generell nicht. In Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erhält man als obsiegender Revisionswerber einen pauschalen Aufwandsersatz, der aber oft in keinem Verhältnis zu den Kosten steht.

Rechtsmittel im Steuerrecht haben grundsätzlich auch keine aufschiebende Wirkung. Bescheidmäßig vorgeschriebene Zahlungen müssen daher trotz Beschwerde entrichtet werden, sofern nicht die Voraussetzungen für eine "Aussetzung der Einhebung" vorliegen. Während eine solche in den Unterinstanzen noch regelmäßig bewilligt wird, ist die Gewährung von aufschiebender Wirkung in Verfahren vor dem VwGH aufgrund der strengen gesetzlichen Voraussetzungen eher die Ausnahme. Dies führt nicht selten dazu, dass vorab Zahlungen geleistet werden müssen, obwohl in weiterer Folge das Verfahren gewonnen wird. Gerade bei hohen Steuernachzahlungen kann das existenzbedrohend sein.

Bedeutet eine lange Verfahrensdauer gleichzeitig mehr Qualität bei der Entscheidungsfindung?

Nein, nicht zwingend. Eine umfangreiche und vollständige Ermittlung des zugrunde liegenden Sachverhaltes durch das Finanzamt oder das Bundesfinanzgericht ist aber eine Grundvoraussetzung dafür, dass die daran anschließende rechtliche Beurteilung - auch wenn sich diese nicht mit der Rechtsmeinung des Steuerpflichtigen deckt - den gesamten Sachverhalt berücksichtigt. Ohne vollständigen Sachverhalt und ohne gesetzmäßige Beweiswürdigung kann es per se keine "richtige" Entscheidung geben.

Wie wirkt sich die Corona-Krise auf die Verfahrensdauer aus?

Das kann man derzeit nicht sagen, da es noch keine Erfahrungswerte gibt. Ich gehe aber schon davon aus, dass es zu Verzögerungen in anhängigen Verfahren kommen wird.

Wie ist es um die Qualität der Steuerbehörden und des Bundesfinanzgerichts bestellt und wie hat sich diese entwickelt?

Wie in jedem Beruf gibt es natürlich auch in der Finanzverwaltung und beim Bundesfinanzgericht qualitative Unterschiede. Meine persönliche Wahrnehmung ist aber, dass sich die fachliche Kompetenz in den vergangenen Jahren enorm gesteigert hat. Sowohl bei den Finanzämtern als auch beim Bundesfinanzgericht arbeiten zahlreiche Steuerexperten, die auch aufgrund einschlägiger Publikationen und reger Vortragstätigkeit am Steuermarkt wohlbekannt sind.

Abgesehen vom materiellen, also inhaltlichen, Steuerrecht - und das ist eigentlich mein einziger Kritikpunkt - wird leider vereinzelt nach wie vor dem Verfahrensrecht nur unzureichend Beachtung geschenkt. Es kommt immer wieder vor, dass grundlegende verfahrensrechtliche Aspekte außer Acht gelassen oder nicht sorgfältig berücksichtigt werden. So sind beispielsweise oft erstinstanzliche Bescheide unzureichend oder in sich unschlüssig begründet, es muss dann im Verfahren entsprechender Aufwand getrieben werden, der grundsätzlich vermeidbar gewesen wäre. Auch Beweis- und Nachweispflichten des Steuerpflichtigen sind ein häufiges Diskussionsthema.

Wie hoch ist der Anteil jener Entscheidungen des Bundesfinanzgerichts, die mittels Revision beim Verwaltungsgerichtshof angefochten werden - auch in Relation zu früher?

Auch das lässt sich dem Tätigkeitsbericht des Bundesfinanzgerichtes entnehmen. 2018 wurden demnach nur rund zwei Prozent der Entscheidungen des Bundesfinanzgerichts vor den Höchstgerichten, also dem Verwaltungs- beziehungsweise Verfassungsgerichtshof, angefochten. Im Vergleich zur Rechtslage vor der Schaffung des Bundesfinanzgerichtes ist dies freilich wenig. Das liegt aber auch daran, dass der Zugang zum Verwaltungsgerichtshof seit 2014 wesentlich beschränkt wurde. Eine Revision wird nur mehr dann behandelt, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage von "grundsätzlicher Bedeutung" abhängt.

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