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Die Wiederentdeckung des Budgetlochs

Von Simon Rosner

Politik

Die Gegenfinanzierung auf tönernen Füßen und die Konjunktur im Keller - für das Nulldefizit braucht es noch Reformen.


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Wien. Der Blick nach vorne war früher schöner. Vor einem Jahr noch hatten die Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS die Talsohle für durchschritten erklärt, Österreichs Wirtschaft sollte wieder, so die Annahme, einen zarten Aufschwung erleben. Doch der Optimismus erhielt von der Realität im Herbst eine Watsche, die Prognosen wurden deutlich nach unten geschraubt.

Auch der am Montag präsentierte Frühjahrs-Ausblick zeichnet kein anderes Bild. Vor einem Jahr noch erwartete das Wifo für 2015 ein Wachstum von 1,7, das IHS gar von 2,0 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt. Nun sind davon nur mehr 0,5 (Wifo) beziehungsweise 0,8 Prozent (IHS) übrig geblieben, und auch für 2016 wurden die Erwartungen revidiert. Das ist auch für Finanzminister Hans Jörg Schelling eine schlechte Nachricht. Denn eine lahme Konjunktur wirkt sich negativ auf den Budgetvollzug aus.

Wann wirkt Gegenfinanzierung?

Noch sind in der Prognose mögliche Auswirkungen der ab 2016 geplanten Steuerreform nicht eingerechnet. Eine Schätzung dazu wollten weder Wifo-Chef Karl Aiginger, noch Helmut Hofer vom IHS abgeben. Aus Sicht der Regierung war die Entlastung aber jedenfalls das letzte Atout, um die Wirtschaft zu stimulieren. Ein Konjunkturpaket ist bereits im Laufen, ein weiteres verbietet sich durch budgetäre Restriktionen der EU. Dafür könnte sich das vom neuen Kommissionschef Jean-Claude Juncker geplante Investitionsprogramm positiv auswirken, das sich aber noch in der Verhandlungsphase befindet.

Durch die Gegenfinanzierung der Steuerreform sei der "mechanische Effekt gleich Null", sagt Aiginger. Es werden zwar fünf Milliarden durch die Entlastung in die Wirtschaft gepumpt, gleichzeitig aber wird auch dieser Betrag eingespart. Dass die Erwartungen der Regierung auf Konjunkturbelebung dennoch nicht ganz unbegründet sind, liegt daran, dass sehr wachstumsschädliche Steuern, nämlich jene auf Arbeit, reduziert und vergleichsweise weniger wichtige erhöht werden.

Es gibt allerdings ein prinzipielles Problem: Rund 90 Prozent der Entlastung greifen schon im Jahr 2016. Bei der Gegenfinanzierung sieht es anders aus. Wann wirken die Maßnahmen gegen Steuerbetrug? Wann kann sich die Regierung mit der Opposition auf die Erhöhung der Kapitalertragssteuer einigen? Und wie lässt sich eine Milliarde Euro in der Verwaltung einsparen, wenn der Finanzausgleich mit den Ländern noch bis Ende 2016 läuft?

Und dann gibt es noch ein Problem für Schelling. Die Regierung rechnet mit einem Selbstfinanzierungsgrad der Reform von 16 Prozent, da sie davon ausgeht, dass die Entlastung den Konsum stimuliert. Wenn allerdings in der Verwaltung eine Milliarde einspart werden soll, werden auch Beschäftigte im öffentlichen Sektor gehen müssen. Und ohne Arbeit werden diese dann weniger konsumieren. Die Regierung hat also die positiven Effekte der Reform hineingerechnet, die negativen jedoch nicht berücksichtigt.

Vollzug fiel deutlichpositiver aus als erwartet

Damit droht im kommenden Jahr ein Loch im Budget aufzugehen, das der EU zu groß sein könnte. Bereits jetzt klafft eine Lücke in der Erwartung des Wifo und des Finanzministeriums hinsichtlich des strukturellen Defizits für das Jahr 2016. Das Wifo hat in seiner Jänner-Prognose 1,1 Prozent des BIP eingestellt, der Finanzminister geht nach wie vor davon aus, die aus Brüssel vorgegebenen 0,45 Prozent zu schaffen. In absoluten Zahlen beträgt die Differenz der Erwartung rund zwei Milliarden Euro - eventuelle Mehrkosten durch eine nur teilweise erreichte Gegenfinanzierung der Reform noch nicht eingerechnet.

Was für Schellings Kalkulation spricht, ist der Vollzug 2014, der Ende März nach Brüssel gemeldet wird. Dieser fiel positiver aus, als erwartet wurde. Die Lohnsumme und das Aufkommen bei der Sozialversicherung waren trotz trüber Wirtschaftslage und Rekordarbeitslosigkeit hoch, und zwar so hoch, dass über die Gründe darüber unter Experten gerätselt wird. Eine mögliche Erklärung könnten verstärkte Kontrollen der Krankenkassen sein, die dazu geführt haben, dass Beschäftigte angemeldet beziehungsweise ihrer tatsächlichen Arbeitszeit entsprechend angemeldet wurden. Für diese Theorie gibt es zwar keine harten Daten. Dazu würde jedoch passen, dass die Gastronomie unter den Preistreibern bei der Inflation ist, obwohl die Branche durch die Arbeitsmarktöffnung Richtung Osten profitiert hat.

Hohe Inflation schadet der Wettbewerbsfähigkeit

Sollte sich die These bestätigen, wäre dies auch für die Finanzierung der Steuerreform nicht unrelevant. Denn erstens stellt sich die Frage, ob dann wirklich 1,9 Milliarden Euro durch den Kampf gegen Steuerbetrug lukriert werden können. Und zweitens könnte ein erfolgreicher Kampf höhere Preise bedeuten und die Inflation erhöhen. Und die ist in Österreich entgegen dem EU-Trend bereits jetzt hoch und hat laut Wifo negativ auf die Konjunktur gewirkt. "Durch die Differenz zu Deutschland verlieren wir an Wettbewerbsfähigkeit", sagt Aiginger.

Der Ausblick der Wirtschaftsforscher für das Jahr 2016 ist zwar verhalten positiv, doch Aiginger sagt: Gehe kein "Reform-Ruck" durch Österreich, könnte die Konjunktur auch längerfristig gering sein. Sollte sich aber die Wirtschaft auch im kommenden Jahr nicht erholen, die Refinanzierung der Steuerreform unter der Erwartung bleiben, und andererseits die Inflation weiterhin auf hohem Niveau verharren, steht Österreich wieder vor einem Budgetloch. In diesem Fall hätte die Regierung gar keine andere Wahl, als schnell und im großen Stil Reformen durchzuführen. Die Frage, die dann zu beantworten ist: Werden es echte Reformen oder wird es ein massives Zurückfahren von Sozialausgaben sein?