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Griechenland: Staat mit glorreicher Vergangenheit und trister Zukunft. | Proteste gegen Sparprogramm werden heftig. | Athen. In Griechenland gehören Streiks zum Alltag, zum normalen Geschäft der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Im Jänner streikten beispielsweise die Prostituierten, aktuell besetzen Bauern Grenzübergänge nach Bulgarien. Am Mittwoch ist es wieder soweit: Die größte Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst ruft zum Streik auf, Hunderttausende dürften folgen. Am 24. Februar ist ein Generalstreik geplant, auch nichts Neues in Athen.
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Doch diesmal ist alles anders. Die ganze Welt blickt derzeit nach Griechenland, seitdem das Land mit der Ankündigung, statt der erwarteten 3,7 Prozent gleich 12,7 Prozent Budgetdefizit zu machen, die Eurozone ins Krisengetümmel warf. Die neue Regierung hat deshalb ein harsches Sparprogramm angekündigt: Lohn- und Pensionskürzungen, Steuererhöhungen.
Die Athener zeigen sich derweil davon eher unberührt. Das Lebensmotto lautet: Alles wird klappen - irgendwie, ohne allzu großen Aufwand. "Es ist schon notwendig, etwas zu tun. Aber wir haben immer sehr strenge Gesetze in Griechenland, ohne dass diese großartige Auswirkungen hätten", sagt ein Taxifahrer.
Die kommenden Demonstrationen regen auch niemanden ernstlich auf, als Stau-erprobte Autofahrer sind die Athener mindestens so phlegmatisch wie die Briten. Dieses Phlegma wird nur durchbrochen, wenn "wohlerworbene Rechte" in Frage gestellt werden. Und genau das hat die Regierung von Premier Giorgos Papandreou vor. "Wir brauchen ein paar Monate", meinte Griechenlands Finanzminister kürzlich, "um vor allem mit Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes zu reden."
Giftige Mischung
Denn öffentlich Bedienstete hat Griechenland genug. Etwa 22 Prozent aller Beschäftigten werden von Gebietskörperschaften beschäftigt. Im Parlament hat sich - bei gleicher Zahl von Abgeordneten - die Zahl der Mitarbeiter in den letzten Jahren von 700 auf 1500 mehr als verdoppelt. Auf den Inseln, die weitgehend vom Sommertourismus leben, ist die Zahl der Beamten in Relation noch höher. Griechenland nutzte die Administration als Auffangbecken gegen Arbeitslosigkeit. Im Verein mit Misswirtschaft und Korruption ergab sich daraus eine giftige Mischung: Rund 55 Milliarden Euro muss Griechenland heuer auf den Kapitalmärkten aufnehmen, um die Schulden bedienen zu können.
Und Investoren sind nervös geworden, die Zinsen astronomisch in die Höhe gegangen. Solange die Bonität Griechenlands nicht weiter gesenkt wird, können sich die Banken bei der Europäischen Zentralbank Geld leihen. Eine weitere Herabstufung wäre aber fatal. Von den komplexen Überlegungen der Hochfinanz ist in Athen noch nicht viel angekommen. "Das ist alles die Schuld der Politik. Warum sollen wir die Rechnung dafür bezahlen?", fragt ein Pensionist. Er will sich am Mittwoch an der Demonstration beteiligen, denn auch seine monatliche Rente soll gekürzt werden.
Wenn es den Griechen aber nicht gelingt, dem Teufelskreis zu entkommen, droht der EU ziemliches Ungemach. Es gibt eine starke Verunsicherung bei den Investoren, der Euro sinkt, die Zweifel an der Stabilität der Eurozone steigen. Wer auf die Akropolis steigt, spürt, dass hier einmal die Wiege der europäische Kultur stand. 2500 Jahre später droht daraus eine Bahre zu werden.
"Zu einer Währungsunion gehört auf der anderen Seite auch eine starke fiskalische Konvergenz", erklärte EZB-Chef Jean-Claude Trichet. Genau die fehlt: Griechenland durfte jahrelang seine Statistiken fälschen, die meisten hohen EU-Beamten wissen davon seit zwei Jahren. Nur so war es möglich, dass es plötzlich eine Verdreifachung des Budgetdefizits gab.
Härtetest für die EU
Die Nicht-Existenz einer politischen Instanz, um EU-Mitgliedsländer beim ungehemmten Schuldenmachen einzubremsen, macht aus den Demonstrationen in Athen einen Härtetest für die europäische Idee.
Die Griechen, die sich allgemein nicht so leicht Sorgen machen, auch wenn es keine Lösungen gibt ("alles wird klappen"), haben dies noch nicht vollständig erkannt. Die Politik weiß es, die Bevölkerung muss erst vorbereitet werden. Ein Test dafür werden die kommenden Streiks. Wenn die Regierung hier einknickt wie immer, dann ist das Sanierungsprogramm bis 2012 nur ein weiteres striktes Gesetz, das nicht so ernst zu nehmen ist.
"Warum soll ich bezahlen, was die Politik verbockt hat?" - dieser Satz eines Lehrers ist in Athen oft zu hören. Es wäre vielleicht an der Zeit, dass die neue EU-Spitze auch in Griechenland öffentlich auftritt, um zu erklären, dass es diesmal anders sein muss. Die Zeit, Statistiken zu fälschen, ist vorbei. Und bevor die EU Griechenland finanziell beisteht, wird das Land beweisen müssen, dass es sparen kann.
Analyse
+++ Die Selbstfesselung der Eurozone