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Gratiskindergarten, Neue Mittelschule und Ganztagesschule als Neuerungen der Vorjahre. | Neben Vermittlung von Wissen vermehrt soziale Kompetenz im Fokus. | "Pflichtschule soll besser auf den weiteren Bildungsweg vorbereiten." | Wien. Zu den 353 öffentlichen Pflichtschulen (davon 212 Volksschulen), den 93 Allgemein Bildenden Höheren Schulen (AHS) und rund 50 weiteren Schulen in Wien haben sich mittlerweile 21 Neue Mittelschulen gesellt.
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An diesen werden 10- bis 14-Jährige sowohl auf Basis des Lehrplans der Hauptschule als auch des Realgymnasiums unterrichtet. Daneben wird zunehmend auf Ganztagesschulen fokussiert, bei denen man zwischen dem verschränkten (Schulstunden über den Tag verteilt) und dem offenen (nachmittags kein Unterricht) Modell wählen kann.
Erste Ganztagesklassen-AHS
Seitdem sich die Wiener bei der Volksbefragung im Februar dieses Jahres für die Ganztagesschule entschieden haben, wird an deren flächendeckendem Ausbau gearbeitet - derzeit gibt es 58 ganztägig geführte Volks- und 45 Hauptschulen. Als österreichweites Pilotprojekt haben mit diesem Schuljahr auch drei AHS mit Ganztagsklassen in Wien-Döbling, Hernals und Fünfhaus gestartet.
Bereits die Einführung des beitragsfreien städtischen Ganztageskindergartens im Herbst 2009 hat gezeigt, dass sich die Wiener Bildungslandschaft bewegt und völlig neue Wege eingeschlagen werden. Mit September 2010 wurde überdies bundesweit das verpflichtende Kindergartenjahr eingeführt. Doch nicht alle Parteien gehen mit diesem Wandel hin zu Ganztagesbetreuung und gemeinsamer Schule konform - die unterschiedlichen Standpunkte lassen den Bildungsbereich zu einem heiß umkämpften Wahlkampfthema für die Wien-Wahl am 10. Oktober werden.
In dieses fließt unweigerlich das Thema Integration ein, wie Barbara Schober, Bildungspsychologin der Universität Wien, betont. Sind doch bereits die Hälfte aller Wiener Volksschüler Kinder mit Migrationshintergrund. "Chancengleichheit und interkulturelles Lernen sollen daher im Vordergrund stehen", erklärt Schober. In der Schule und auch schon im Kindergarten als erste Bildungsstätte müsse neben dem reinen Wissen zunehmend soziale Kompetenz vermittelt werden.
Bildung bedeutet Integration
Zwar bewege sich der Wiener Bildungssektor bereits in diese Richtung, "wie die Pläne umgesetzt werden, ist aber unterschiedlich", meint Schober. So habe eine vor kurzem durchgeführte Studie ergeben, dass die Mehrheit der Wiener Schüler die Muttersprache ihrer Mitschüler nicht kannten.
Doch nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund hadern laut Bildungsexpertin Christa Koenne von der Donau-Uni Krems mit der deutschen Sprache. Tatsächlich stammt die Hälfte jener, die in der ersten Klasse einen Förderbedarf in Deutsch zeigen (insgesamt ein Viertel aller Taferlklassler), aus Österreich. Das in den Kindergärten praktizierte "Eins plus eins Fördermodell" hält Koenne daher prinzipiell für gut. Dabei können Kinder, die nach verpflichtendem Kindergartenjahr die Schulreifeprüfung etwa wegen mangelnder Deutschkenntnisse nicht bestehen, in die Vorschule wechseln.
"Unser Schulsystem leidet aber an unterschwelligen Reformwellen", kritisiert Koenne, "wir brauchen ein plurales Angebot etwa an Förderstunden oder Freigegenständen." Eine "Schule mit längeren Öffnungszeiten" ist in ihren Augen der Schlüssel dazu, womit sie nicht nur die Ganztagesschulen meint. Die Bildungsexpertin fordert vielmehr eine Ganzjahresschule, in der "das Kapital der Schule und die Arbeitszeit der Lehrer besser genutzt werden". Letztere erlangten dadurch sogar mehr Flexibilität, indem sie zu einer beliebigen Zeit auf Urlaub gehen könnten und nicht an die Ferien gebunden seien.
Der akute Lehrermangel werde dadurch nicht potenziert. Laut Matias Meißner vom Wiener Stadtschulrat sind in Wien vor allem Lehrer technischer und naturwissenschaftlicher Fächer sowie Sonderschulpädagogen rar gesät. Da jedoch der Lehrplan einer Ganztagesschule nicht erweitert wird, steigt auch der Bedarf an Lehrern nicht an, so Koenne. Das Freizeitangebot könne ebenso von anderen Pädagogen abgehalten werden.
Diese Schulen sollen in Wien laut Koenne für die 10- bis 14-Jährigen flächendeckend als gemeinsame Schulen geführt werden, um die soziale Verantwortlichkeit zu fördern - Arnold Suppan, Generalsekretär der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, spricht sich hingegen klar gegen die gemeinsame Schule aus. Er sieht dadurch einen Qualitätsverlust in Sachen Bildung herannahen. "Die individuellen Fähigkeiten der Kinder erfordern ein Schulsystem, das früh auf diese unterschiedlichen Fähigkeiten eingeht. Schulversuche mit Gesamtschulen in Österreich, der Schweiz und Deutschland haben gezeigt, dass schwache Schüler die besseren hemmen. Österreich wird als Wissenschaftsstandort nur bestehen, wenn es gelingt, den bestbegabten Schülern die bestmögliche Ausbildung angedeihen zu lassen", warnt er.
17 Prozent nur Pflichtschule
Bei der Entscheidung, welcher weitere Bildungsweg überhaupt eingeschlagen wird, werden Schüler Schobers Ansicht nach zu sehr allein gelassen. 17 Prozent der 24-Jährigen haben lediglich die Pflichtschule absolviert. "Das Wiener Übergangsmanagement ist noch zu wenig ausgereift, obwohl gerade auf Jugendliche diesen Alters speziell eingegangen werden muss", so die Bildungspsychologin. In dieselbe Kerbe schlägt Susanne Schöberl von der Arbeiterkammer Wien. "Freilich bietet etwa das Arbeitmarktservice Kurse zur Berufsorientierung an", sagt sie, "bereits der Pflichtschulbereich sollte sich aber mehr einbringen." Auch der erneute Eintritt in die Schule nach einer Zeit des Schnupperns in die Arbeitswelt solle erleichtert und zur Selbstverständlichkeit werden.
Wirtschaftsexpertin Gudrun Biffl prangert das derzeitige Bildungssystem sogar als ein solches an, "das sich an die neuen Herausforderungen der Jugend noch nicht herangemacht hat". Denn bereits seit der EU-Öffnung gehörten geschützte Arbeitsplätze der Vergangenheit an, der Wettbewerb sei gestiegen. Besonders Akademiker (mehr als 60 Prozent aller Studenten Österreichs studieren in Wien) konkurrieren untereinander mehr denn je. "Die Zeit drängt, das Bildungssystem muss dem Frust über die Ausweglosigkeit am Arbeitsmarkt entgegenwirken", so Biffl. Deren Aufgabenbereich ist also auch in ihren Augen bereits weit über die reine Wissensvermittlung hinausgewachsen.