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Douglas Feith, einer der Architekten des Irak-Kriegs im Kabinett von Präsident George W. Bush, meinte nach dem Krieg in einem Porträt im Intellektuellenblatt "New Yorker" ganz nachdenklich: "Ich glaube nicht an Gewissheiten." Feith illustrierte seine Aussage mit einer Erkenntnis, die er einmal in Wien gewonnen hatte: "Ich ging die Ringstraße entlang, mit ihren beeindruckenden Gebäuden, von denen die meisten 25 Jahre vor dem Ersten Weltkrieg gebaut worden sind. Diese Gebäude wurden als Hauptquartier eines Welt-Imperiums gebaut - für die Ewigkeit. Doch diese Menschen hatten keine Ahnung, dass die Zerstörung ihres Imperiums bevorstand."
Feith hätte die Wiener Lektion ernst nehmen sollen. Sinnlosen Kriegen gehen Arroganz, Chauvinismus und unhinterfragter Hurra-Patriotismus voraus, es geht Politikern und Generälen um die "nationale Ehre", um das Glaubhaftmachen der eigenen Stärke, wenn eine Stimme der Vernunft, das Finden eines Kompromisses oder eine kühle Analyse der Risiken einer bewaffneten Auseinandersetzung viel angebrachter wäre. Das galt für den Ersten Weltkrieg - aber auch für den Irak-Krieg.
100 Jahre nach der Urkatastrophe Europas sollten nun zumindest Europäer ihre Lehren ziehen: Die Menschen des 21. Jahrhunderts können sich die Stimmung damals nur schwer vorstellen, die der anfängliche Kriegseuphoriker Stefan Zweig in seiner Autobiografie "Die Welt von gestern - Erinnerungen eines Europäers" niedergeschrieben hat: "Die jungen Menschen hatten sogar ehrliche Angst, sie könnten das wundervoll Erregende in ihrem Leben versäumen".
In Wien gibt es 2014 eine Vielzahl an Ausstellungen und Veranstaltungen, die an den Ersten Weltkrieg erinnern. Aber von einem offiziellen Staatsakt, einem kollektiven Akt der Erinnerung in Österreich hört man bisher wenig.
Die Wiener Philharmoniker geben am 28. Juni in Sarajevo, 100 Jahre nach den tödlichen Schüssen des Gavrilo Princip auf Kronprinz Franz Ferdinand, ein Konzert. Dieser Tag wäre eine gute Gelegenheit, wenn die Feinde von vorgestern und gestern, Österreich, Bosnien und Kroatien auf der einen Seite und Serbien auf der anderen, zusammenkommen und - durch die Musik von Haydn, Schubert, Alban Berg, Brahms und Ravel inspiriert - an ihrer Zukunft in einem gemeinsamen Europa weiterbauen. Man sollte die Wiener Lektion ernst nehmen: Die Europäische Union ist ein Friedensprojekt.