Die Ausstellung "Wikinger!" auf der Schallaburg bei Melk korrigiert so manches Unwissen und Halbwissen.
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Schallaburg. Viele Fragen säumen den Weg in die Schallaburg, darunter: "Wer bin ich? Wer sind wir? Wer waren die Wikinger?" Die diesjährige Ausstellung im Renaissanceschloss bei Melk lässt von Anfang an erkennen: Hier sollen nicht alle Fragen beantwortet, sondern viele neue aufgeworfen werden - Fragen nach der eigenen Identität, nach der Bedeutung von Beziehungen, Geschichten und Gegenständen, nach Glauben und Hoffen, nach Bildern von sich selbst aus der eigenen und einer fremden Perspektive.
"Wikinger!" Der Titel der Schau wirkt wie ein Schreckensruf aus dem Mittelalter. Vom 8. bis ins späte 11. Jahrhundert waren die aggressiven Horden aus dem Norden an den Küsten Europas gefürchtet. Dabei habe es "die Wikinger" als eigenes Volk gar nicht gegeben, stellte Michaela Helmbrecht, Kuratorin für die Erweiterung der großteils vom Schwedischen Museum für Geschichte in Stockholm bestückten Ausstellung, bei der Eröffnung fest. Wenn Angehörige verschiedener nordischer Stämme auf "viking" gingen - das bedeutete eine weite Schiffsreise, eine Plünderungsfahrt oder eine Handelsreise -, fielen sie unter diesen Begriff, der sich später als allgemeine Bezeichnung einbürgerte.
Der Mann, auf den der Begriff "Bluetooth" zurückgeht
Aus Sicht des schwedischen Chefkurators Gunnar Andersson ist es fast unmöglich, die Wikingerzeit exakt zu datieren. Historisch gesichert sind die Wikinger erstmals am 8. Juni 793, als sie das Kloster Lindisfarne an der Nordostküste Englands überfielen und zerstörten. Was England betrifft, gilt der 25. September 1066 als Ende der Wikingerzeit. Damals fiel Harald III. Hardrade beim Versuch, die Herrschaft über einen Teil von Ostengland wiederzuerlangen, in der Schlacht von Stamford Bridge. Der neue Herr von England, Wilhelm der Eroberer, kam aus der Normandie. Dieses Gebiet hatte der französische König Karl der Einfältige 911 dem Wikingerfürsten Rollo als Lehen gegeben, um so weitere Attacken der "Nordmänner", die der Region nun ihren Namen gaben, abzuwehren.
Als große Wikinger gelten unter anderen Askold und Dir vom Stamm der Rus, die Kiew eroberten, Erik der Rote, der Grönland besiedelte, Leif Eriksson, der bis Nordamerika kam, und Harald Blauzahn, dem es gelang, verfeindete Teile Dänemarks und Norwegens zu vereinen. Die englische Version seines Beinamens, "Bluetooth", steht heute für eine Funkverbindung über kurze Distanzen, das dazugehörige Logo zeigt seine Initialen HB in Runenform.
Was wir über die Wikinger wissen, stammt aus archäologischen Funden oder aus schriftlichen Quellen, etwa Annalen und Chroniken, die aber aus England und dem Frankenreich und nicht von den Wikingern stammen. Die Runenschrift, die man bei den Skandinaviern verwendete, findet sich lediglich auf Steinen und Gegenständen - etwa zur Nennung des Besitzers oder für magisch-amuletthafte Beschwörungsformeln. Die Ausstellung zeigt solche Steine, aber auch schön verzierte Bildsteine, die kleine Geschichten erzählen und wahrscheinlich als Gedenksteine dienten. Ein solcher Stein aus Gotland zeigt einen Zweikampf, dazu Krieger mit Schilden auf einem Schiff sowie Symbole für das Totenreich und die Ewigkeit.
Das Weltbild der Wikinger offenbart sich am deutlichsten in den Geschichten und Mythen aus ihrer Zeit, die aber erst im 13. Jahrhundert von bereits christlichen Autoren schriftlich gefasst wurden. Aus diesem Sagenschatz hat sich zum Beispiel der britische Autor J. R. R. Tolkien ("Der Herr der Ringe") bedient, der seine Zwergen-Namen aus der Lieder-Edda übernommen hat. Die Bezeichnung unserer Wochentage geht teilweise auf germanisch-nordische Gottheiten zurück. Noch während der Wikingerzeit nahmen die ersten Skandinavier das Christentum an, das sich dann, meist nach der Taufe der Herrscher, rasch ausbreitete. Aber viele hielten noch lange an alten Glaubensinhalten und Jenseitsvorstellungen fest.
Für Sophie Nyman, Direktorin der Abteilung für Ausstellungen am Schwedischen Museum für Geschichte, geht die Wikingerzeit mit der "mythischen Periode der skandinavischen Geschichte" einher. Das Stockholmer Museum beherberge die größte permanente Ausstellung über die Wikinger, nun sei man auf Welttournee. Auf der Schallaburg werden auf 1300 Quadratmetern über 500 Exponate gezeigt, viele davon erstmals in Österreich. Als Erweiterung der Ausstellung werden historische Vorgänge in Mitteleuropa während der Wikingerzeit aufgezeigt und Objekte aus dieser Epoche, etwa der Rückendeckel eines Lindauer Evangeliars aus dem 9. Jahrhundert, präsentiert. Michaela Helmbrecht vergleicht die Rolle der Wikinger im Norden mit jener der Ungarn in Mitteleuropa, deren Raubzüge damals auch Angst und Schrecken auslösten.
Österreichisches Bodenradar für die Wikingerforschung
Österreich spielt in der Wikinger-Forschung keine geringe Rolle. Das liegt am Ludwig-Boltzmann-Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie, geleitetet von Wolfgang Neubauer, das sich neben der Burg mit einem kleinen Zelt bemerkbar macht. Mit seinem Bodenradar hat das Institut ein virtuelles Modell der schwedischen Wikingerstadt Birka erstellt und im norwegischen Borre maßgeblich zur Entdeckung eines Häuptlingssitzes der Wikingerzeit beigetragen - mit Ritualplätzen, Grabhügeln und einer Hafenanlage.
Wer nordische Wikingermuseen kennt oder die jüngste Wikingerausstellung in Berlin besucht hat, wo das restaurierte Wikingerschiff Roskilde 6 im Mittelpunkt stand, wird auf der Schallaburg die für die Wikinger so typischen großen Schiffe vermissen - ein paar Schiffsattrappen im Burghof können das nicht wettmachen.
Denn die Wikinger waren vor allem als Schiffsbauer und Seefahrer zu ihrer Zeit einzigartig. Die Begriffe "Steuerbord" für die rechte und "Backbord" für die linke Schiffsseite gehen wahrscheinlich auf Wikingerschiffe zurück. Das Schiff spielte auch für die Reise ins Jenseits eine Rolle: Angehörige der Oberschicht wurden oft samt einem voll beladenen Wikingerschiff begraben, für Gräber einfacher Leute stellte man die Steine in Form eines Schiffs auf.
Auf der Schallaburg stellt man nicht die Seefahrt, sondern das Alltagsleben zur Wikingerzeit in den Vordergrund - das bunte und betriebsame Familienleben im trauten Heim. Es geht aber auch um das Handwerk und den Handel in den Wikingersiedlungen, etwa in Haithabu im heutigen Schleswig-Holstein. Viele verschiedene Schmuckstücke, Gebrauchsgegenstände, Werkzeuge und Waffen sind ausgestellt. Kreuzanhänger zeugen vom Anbruch des Christentums in Nordeuropa, Thorshammer-Anhänger vom Vertrauen in den Schutz des nordischen Donnergottes.
Keine Helme mit Hörnern, aber starke Frauen
Als wesentliches Ziel der Ausstellung nennt Kurt Farasin, Geschäftsführer der Schallaburg, dass Stereotypen aufgelöst werden. Diverse Unterhaltungsserien (wie "Wiki und die starken Männer") haben mehr Unwissen und Halbwissen über die Wikinger produziert als echte Informationen. Zum Beispiel ist es eine Legende, dass die Wikinger Hörner auf den Helmen trugen (es gab nur Trinkhörner, wie die Ausstellung zeigt). Helme mit Hörnern wurden erstmals im 19. Jahrhundert für eine Inszenierung von Richard Wagners "Ring des Nibelungen" kreiert und galten in der Folge als typische Kopfbedeckung kriegerischer Wikinger. Diese hatten auch "starke Frauen", die sie oft auf ihren Reisen begleiteten und im Haus die alleinige Schlüsselgewalt besaßen. Als eine kämpferische Walküre ist beispielsweise Freydis Eriksdottir, Tochter Eriks des Roten und Schwester Leif Erikssons, in die nordischen Sagas eingegangen.
Wer aus der Ausstellung tritt, findet gleich links an der Wand eine Karte mit Wikingermuseen in aller Welt. Zur Vertiefung des Wissens dient auch der von mehreren Fachleuten erstellte Katalog. Die Schallaburg bietet aber heuer noch eine echte Novität: Man kann, ohne zusätzliche Bezahlung, an der Kassa die Tageskarte in eine Saisonkarte umschreiben lassen und einfach bis zum 8. November 2015 wiederkommen und noch tiefer in die Welt der Wikinger eintauchen.
Ausstellung Wikinger!
8. März - 8. November 2015
Renaissanceschloss Schallaburg